Den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke können wir uns sparen

Ein Statement von Dr. Stefan Thomas und Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick

  • Statements 05.08.2022

Sommer 2022: Deutschland ist in Sorge vor einer echten Energieknappheit im kommenden Winter und sieht sich Energiepreisen in nie dagewesenen Höhen gegenüber. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz arbeitet mit Hochdruck an Lösungen. Dazu gehören neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem die Energieeffizienz und das intelligente Energiesparen. In einem breiten Bündnis mit Sozialpartner*innen, Wirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie kommunalen Spitzenverbänden hat das Ministerium im Juni zum Energiesparen aufgerufen und die Kampagne "80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel" gestartet.

Allein: Die Debatte in Politik und Medien wird derzeit von einem ganz anderen Thema beherrscht. Nämlich, ob die drei verbliebenen Atomkraftwerke, deren Betrieb laut Gesetz am 31. Dezember 2022 endet, stattdessen im sogenannten Streckbetrieb bis März oder Mai 2023 weiterlaufen sollen oder ob die Laufzeit mit neuen Brennstäben sogar um zwei oder mehr Jahre verlängert werden soll.

Für die Lösung der Gaskrise würde das sehr wenig bringen. Schätzungen zufolge könnte nur etwa ein Prozent des heutigen deutschen Gasbedarfs hierdurch eingespart werden. Denn Gas wird im Bereich der Stromerzeugung maßgeblich in standortabhängigen Heizkraftwerken oder zur Abdeckung von Spitzenlasten sowie für die Bereitstellung von Regelenergie eingesetzt. Die Europäische Union geht davon aus, dass europaweit mindestens 15 Prozent Gas einzusparen sind, um sicher über den Winter kommen zu können. Für Deutschland nennt das Bundeswirtschaftsministerium ein Mindestmaß von 20 Prozent.

Es geht, das zeigen die aktuellen Debatten, aber nicht nur um die Notwendigkeit Gas einzusparen, sondern auch darum die Stromversorgung abzusichern. Aber auch hierfür könnte ein Streckbetrieb oder gar eine Laufzeitverlängerung nur sehr bedingt helfen, denn mehr als sechs Prozent der heutigen Stromnachfrage decken die drei noch in Betrieb befindlichen Anlagen nicht ab.

Den Streckbetrieb, in jedem Fall aber eine Laufzeitverlängerung der drei Atomkraftwerke können wir uns sparen, indem wir zuerst den Stromverbrauch durch Energieeffizienz und intelligentes Nutzungsverhalten senken und die erneuerbaren Energien rasch ausbauen. Dann müssen auch die Kohlekraftwerke, die jetzt als Reserve wieder aktiviert wurden, in deutlich geringerem Umfang genutzt werden. Wir müssen also auch hier die richtigen Prioritäten setzen.

Ähnlich wie bei der Wärme sind auch beim Stromverbrauch kurzfristig zehn bis 20 Prozent Einsparung möglich. Das entspricht ungefähr der bisherigen Stromerzeugung aus Erdgas und ist deutlich mehr als die noch sechs Prozent Atomstrom. Wenn uns 20 Prozent Einsparung gelingen, haben wir sogar Gas- und Atomstrom zusammen überflüssig gemacht. Wie das geht?

Im Haushalt beispielsweise durch energiebewusstes Nutzungsverhalten aber auch die Anschaffung sparsamerer Hausgeräte, besonders bei alten Kühl- und Gefriergeräten und oft genutzten Trocknern, deren Nutzung gerade im Sommer durch das Trocknen an der Sonne ohnehin überflüssig ist, kann sich sogar ein vorzeitiger Austausch lohnen. Es wäre Zeit für ein allgemeines Förderprogramm für effiziente Geräte. Jene, die nicht benötigt werden, sollten ausgeschaltet werden – zum Beispiel auch ein PC oder Laptop mit externem Bildschirm über Nacht. Alle alten Glühbirnen und Halogenlampen sollten schleunigst gegen LED-Lampen ausgewechselt werden. Bei elektrischer Warmwasserbereitung gibt es längst Duschköpfe und Armaturen, die bei gleichem Komfort 50 Prozent und mehr Wasser und damit Energie sparen. Wo es noch ungeregelte Durchlauferhitzer gibt, macht der Austausch gegen elektronisch geregelte das Duschen komfortabler und sparsamer zugleich. Und wer alte, ungeregelte Heizungspumpen gegen moderne Hocheffizienzpumpen tauscht, spart bis zu 90 Prozent Strom und kann eine Förderung erhalten. Das allein kann zehn Prozent des Stromverbrauchs im Haushalt ausmachen.

Im Büro, im Handel, in Schulen und anderen Einrichtungen ist das Licht ein wesentlich größerer Stromverbraucher als im Haushalt. Es sollte in nicht genutzten Räumen oder bei ausreichend Tageslicht gelöscht werden, entweder manuell oder automatisch. Und auch hier sind LED die Beleuchtung der Zukunft. Auch die Lüftung läuft noch immer in vielen Gebäuden nachts und am Wochenende durch. Das muss nicht sein. Wo es Klimaanlagen gibt, haben die Japaner*innen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima das "Cool Biz" erfunden: Krawatte aus, Klimaanlage auf 26 oder 28 Grad Celsius statt auf 20 Grad Celsius einstellen – das spart im Sommer Strom.

In der Industrie, wo 50 Prozent des Stroms verbraucht wird, können ebenfalls noch viele Anlagen intelligenter geregelt oder einfach abgeschaltet werden, sofern sie nicht benötigt werden. Das erfordert "nur" ein wenig Aufmerksamkeit oder geringe Investitionen. Es sind oft nicht nur die Produktionsmaschinen selbst, sondern vor allem Gebläse, Pumpen, Druckluft- und Beleuchtungsanlagen, bei denen auf diese Weise einfach Strom eingespart werden kann. Größere Betriebe kennen die Potenziale, denn sie benötigen ein Energiemanagement oder alle vier Jahre eine Energieanalyse. Und jene Firmen, die sich bisher von der EEG-Umlage befreien lassen wollten, mussten der Behörde über die Umsetzung von Stromeffizienzmaßnahmen berichten. Für Investitionen gibt es zudem eine Bundesförderung. Diese und viele weitere Möglichkeiten sowie zahlreiche Links sind in den nachfolgenden Links zu finden.

All das geht nur gemeinsam: Es müssen in Deutschland wirklich mehr als 80 Millionen Menschen zusammenarbeiten, zudem muss die Regierung dies mit gezielter Beratung und Förderung noch stärker unterstützen. Die "Energiewechsel"-Kampagne muss spätestens im Herbst deutlich an Fahrt gewinnen. Nicht nur Japan im Jahr 2011, sondern auch Kalifornien und Brasilien haben schon einmal gezeigt, dass mit gemeinsamer Kraftanstrengung in Versorgungskrisen zehn bis 20 Prozent Stromeinsparung gelingen kann. Wir können das auch!


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