Jedes Jahr stellt das Wuppertal Institut die zehn wichtigsten, referierten Publikationen des vergangenen Jahres vor. Mit dieser Auswahl aus 2024 möchte das Institut zentrale wissenschaftliche Beiträge seiner Mitarbeiter*innen zeigen und einen Einblick in den Stand seiner international wahrgenommenen Forschungsarbeit geben.
Zum Themenbereich Klima-, Energie- und Ressourcenwende wurden sieben Artikel aus 2024 ausgewählt.
Born Circular-Startups, deren Geschäftsmodelle auf Kreislaufwirtschaft basieren, spielen eine zentrale Rolle bei der Etablierung zirkulärer Prozesse. Oft fehlt ihnen jedoch Legitimität und Vertrauen von Umsetzungspartner*innen. Zertifizierungen wie Cradle-to-Cradle (C2C) können hier helfen.
Bisher fehlten jedoch strukturierte Tools zur Entwicklung von C2C-Geschäftsmodellen. Im Journal of Cleaner Production stellen Alexa Böckel aus dem Forschungsbereich Zirkulärer Wandel und Kim-Mai Hoang von der Technischen Universität München in ihrem Artikel "Cradle-to-cradle business model tool: Innovating circular business models for startups" das "C2C Business Model Tool" vor: Es unterstützt Gründer*innen bei der systematischen Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle und der Kommunikation mit Partner*innen. Das Tool wurde mit einem Design-Science-Ansatz entwickelt, in Workshops getestet und anschließend mit acht Startups validiert – mit durchweg positivem Feedback.
Im Beitrag "The key role of sufficiency for low demand-based carbon neutrality and energy security across Europe" in Nature Communications beschreibt Johannes Thema aus dem Forschungsbereich Energiepolitik, zusammen mit 21 weiteren Wissenschaftler*innen, einen 1,5-Grad-kompatiblen Pfad mit niedrigem Energiebedarf für Europa, basierend auf einer Bottom-up-Modellierung auf Ebene europäischer Länder. Die Ergebnisse zeigen: Bis 2050 ist eine Reduktion des europäischen Endenergiebedarfs um 50 Prozent im Vergleich zu 2019 möglich, wobei mindestens 40 Prozent der Einsparung im Szenario auf verschiedenen Suffizienzmaßnahmen quer durch alle Sektoren basieren. Eine solche Reduktion würde einen Anteil von 77 Prozent erneuerbaren Energien im Jahr 2040 ermöglichen, bis 2050 sogar 100 Prozent – mit nur geringem Bedarf an Importen von außerhalb Europas, ohne den Einsatz von Kernenergie und fast ohne CO₂-Abscheidung.
Suffizienz trägt dabei gleichzeitig zu einem Angleichen der Energieserviceindikatoren bei, wie Pro-Kopf-Personenkilometern oder -Wohnflächen, und damit zu einer faireren Verteilung zwischen den europäischen Ländern. Die Analyse zeigt, dass Europa mit Suffizienzmaßnahmen die Chance hat, den Energiebedarf massiv zu senken – und so die Kosten der Energiewende deutlich zu reduzieren und schnell auf den 1,5-Grad-Pfad zurückzukehren.
Nicolas Kreibich aus dem Forschungsbereich Internationale Klimapolitik analysiert in seinem Artikel "Toward global net zero: the voluntary carbon market on its quest to find its place in the post-Paris climate regime" die Entwicklung des freiwilligen Kohlenstoffmarkts (Voluntary Carbon Market, kurz VCM) seit dem Pariser Abkommen 2015 und sein Verhältnis zum Klimaregime der Vereinten Nationen (United Nations, kurz UN). Vor Verabschiedung des Pariser Abkommens existierten der VCM und der UN-Kohlenstoffmarkt weitestgehend parallel. Das Pariser Abkommen führte zu einer Verbreitung von Netto-Null- und Klimaneutralitätszielen bei Unternehmen, was das Interesse am VCM als Quelle von CO2-Zertifikaten zur Kompensation von Emissionen erhöhte. Gleichzeitig wurden Zweifel am Modell der CO2-Kompensation und Bedenken hinsichtlich Doppelanrechnungen laut, was die Zukunft des VCM infrage stellte. Ein Übergang vom Kompensationsmodell hin zu einem Climate Contribution-Ansatz zur Mobilisierung privater Klimafinanzierung könnte dem VCM helfen, seine "Identitätskrise" zu überwinden und eine neue Rolle im neuen Klimaregime zu finden.
Keine staatliche oder nichtstaatliche Instanz kann den Klimawandel allein bewältigen – daher rückt polyzentrische Governance in den Fokus. Empirische Belege für das Klimaschutz-Potenzial polyzentrischer Politikgestaltung sind jedoch rar, insbesondere im Globalen Süden. In der Studie "Promises and Pitfalls of Polycentric Federalism: The Case of Solar Power in India" untersuchen Dr. Chris Höhne aus dem Forschungsbereich Internationale Klimapolitik und vier weitere Wissenschaftler*innen Chancen und Herausforderungen der polyzentrischen Klimapolitik in drei indischen Bundesstaaten anhand der Entwicklung der Solarenergie, mit einem besonderen Fokus auf Skalierung und Institutionalisierung in föderalen Systemen.
Die Ergebnisse zeigen: Die Bundesstaaten treiben, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, den Wandel voran und spielen eine entscheidende Rolle beim Überwinden politischer Barrieren. Allerdings gibt es nur wenige erfolgreiche nichtstaatliche oder städtische Bottom-up-Initiativen, die langfristig institutionalisiert wurden.
CO₂-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, kurz CCS) wird weltweit als möglicher technologischer Ansatz diskutiert, um Industrieemissionen zu senken. Die öffentliche Akzeptanz ist dabei entscheidend, doch viele Menschen kennen die Technologie kaum. Mit ihrem Beitrag "Understanding public acceptance amidst controversy and ignorance: the case of industrial Carbon capture and storage in Germany" stellen Felix Große-Kreul, Laura Altstadt, Aileen Reichmann, Nora Weber und Katja Witte aus der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme einen neuen Ansatz zur Messung der öffentlichen Meinung vor: In der Studie wurden vor allem die Meinungen von Personen zu industriellem CCS (iCCS) analysiert, die sich laut eigener Einschätzung mit der Technologie auskennen. Die Umfrage in Deutschland mit 1.845 Teilnehmenden zeigt, dass die Akzeptanz von fünf Faktoren beeinflusst wird:
Gleichzeitig wurde in der Befragung deutlich, dass es große Bedenken hinsichtlich des CO₂-Transports gibt. Auch besteht bei vielen Befragten wenig Vertrauen darin, dass Industrie und Energieversorger gute Entscheidungen im Umgang mit iCCS treffen werden.
Der vielversprechendste Ansatz zur Minderung von CO2-Emissionen in der Stahlproduktion ist Direktreduktion mit grünem Wasserstoff. Das dabei entstehende grüne Eisen wird im Prozess nicht flüssig, sondern fällt als fester, kugelförmiger Eisenschwamm an, der kostengünstig über weite Strecken transportiert werden kann. Das ermöglicht eine räumliche Trennung von Eisenerzeugung und Stahlproduktion – und könnte zu einem globalen Handel mit grünem Eisen führen. In ihrem Artikel "Global trade of green iron as a game changer for a near-zero global steel industry? – A scenario-based assessment of regionalized impacts" bewerten die Wissenschaftler Süheyb Bilici, Dr. Georg Holtz und Alexander Jülich aus dem Forschungsbereich Sektoren und Technologien, gemeinsam mit weiteren Forschenden, die potenziellen Auswirkungen eines solchen globalen Handels – zum einen hinsichtlich der Verlagerung der globalen Energienachfrage hin zu Regionen mit günstigen Bedingungen für Wasserstoffproduktion und zum anderen hinsichtlich der dadurch möglichen Kosteneinsparungen. Die Autor*innen vergleichen drei Szenarien und diskutieren die Voraussetzungen und Hindernisse für einen globalen Handel des grünen Eisens. Die Analyse deutet zwar darauf hin, dass die eingesparten Kosten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer Net-Zero-Stahlproduktion leisten könnten. Die praktische Umsetzung hängt allerdings von vielen Faktoren ab, von Zertifizierungsfragen über die Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien bis hin zu strategischen globalen Partnerschaften im globalen Markt für grünes Eisen.
In der Studie "Country risks analysis for the development of green hydrogen and synthetic fuel sectors in the MENA region" untersuchen Dr. Julia Terrapon-Pfaff, Sibel Raquel Ersoy und PD Dr. Peter Viebahn aus der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme gemeinsam mit Magdolna Prantner von der Hochschule Geisenheim die Rolle von Wasserstoff bei der Dekarbonisierung der Energie- und Industriesektoren. Insbesondere die Europäische Union, allen voran Deutschland, plant, mittel- bis langfristig erhebliche Mengen an Wasserstoff zu importieren und sieht die MENA-Region (Middle East and North Africa – Naher Osten und Nordafrika) als einen potenziellen Hauptlieferanten von grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen.
Allerdings stellen Investitionsrisiken ein großes Hindernis für die Entwicklung der grünen Wasserstoffindustrie in der MENA-Region dar: Bisher gibt es nur wenige systematische Risikoanalysen für diese Sektoren in den MENA-Ländern. Mit der Studie schließen die Forschenden diese Lücke, indem sie eine vergleichende Risikobewertung für erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe in 17 MENA-Ländern vorlegen. Dazu bewerten sie Makro- und Mikrorisiken und betrachten zwei Risikoszenarien für zukünftige Entwicklungen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die MENA-Länder zwar viel Potenzial haben, aber die Mehrzahl mindestens moderate Risiken für die Sektorentwicklung aufweist, was die Komplexität der Förderung dieser Industrien in der Region unterstreicht.
Aus dem Bereich Konsument*innenverhalten wurden zwei Artikel gewählt.
Die Studie "The impact of biodiversity information on willingness to pay", die von Dr. Kathleen Jacobs aus dem Forschungsbereich Zirkulärer Wandel gemeinsam mit Prof. Dr. Jacob Hörisch von der Leuphana Universität Lüneburg und Prof. Dr. Lars Petersen von der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft durchgeführt wurde, untersucht, inwiefern Informationen zur positiven oder negativen Biodiversitätsleistung eines Produktes die Zahlungsbereitschaft von Verbraucher*innen beeinflussen. Dafür wurden Daten von 524 deutschen Verbraucher*innen erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass Verbraucher*innen mit hohem Bildungsniveau und starker Besorgnis über den Verlust der Biodiversität bereit sind, mehr für Produkte mit überdurchschnittlicher Biodiversitätsleistung (positive Information) zu zahlen und weniger für Produkte mit unterdurchschnittlicher Leistung (negative Information). Allerdings stellen die Autor*innen dabei fest, dass der Grad, um den die Biodiversitätsleistung eines Produkt den Branchenstandard übertrifft, keinen Einfluss auf die zusätzliche Zahlungsbereitschaft der Verbraucher*innen hat. Das bedeutet, dass sowohl marginale als auch sehr große Fortschritte von Unternehmen im Bereich der produktbezogenen Biodiversität mit der gleichen Zahlungsbereitschaft honoriert werden.
Die Forschenden kommen daher zur Schlussfolgerung, dass die derzeitigen monetären Anreize durch Verbraucher*innen für ein unternehmerisches Biodiversitätsmanagement mit dem Ziel, innerhalb der planetaren Grenzen zu agieren, nicht ausreichen. Daher ist beispielsweise die Politik gefragt, Subventionen für Produkte einzuführen, deren Biodiversitätsleistung weit über dem Branchendurchschnitt liegt, oder Produkte zu verbieten, die deutlich unter dem Branchendurchschnitt liegen.
Im Industrial Design ist projektbasiertes Lernen mit Fokus auf "Learning by Doing" die vorherrschende Unterrichtsmethode. Lernende sollen motiviert werden, sich mit komplexen Problemen auseinanderzusetzen, beispielsweise im Kontext der Nachhaltigkeit. Bisher ist jedoch unklar, wie die Motivation in Projekten gezielt aktiviert werden kann, um den spezifischen Herausforderungen gerecht zu werden und umweltfreundliches Verhalten zu fördern. Mit dem Beitrag "Circular economy from scratch: a novel project-based learning method to increase motivation in metal recycling among industrial design students" stellen Konrad Schoch, Dr. Manuel Bickel und Prof. Dr. Christa Liedtke aus der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren gemeinsam mit Prof. Dr. Fabian Hemmer von der Bergischen Universität Wuppertal eine projektbasierte Unterrichtsmethode vor, die mit einem Handlungsmodell aus der Sozialpsychologie verknüpft ist. Sie soll Studierende, unter anderem mit Hilfe von Toolkits, dazu anregen, sich mit Möglichkeiten auseinanderzusetzen, das Metallrecycling zu verbessern und dabei fachliche Kompetenzen auf den Ebenen Metall, Legierung, Produkt und System fördern. Es wird gezeigt, welche spezifischen Interventionsmaßnahmen geeignet sind und wie sie methodisch eingesetzt werden können. Erste Evaluationsergebnisse deuten darauf hin, dass die projektbasierte Unterrichtsmethode die Zielgruppe tatsächlich stark motivieren kann.
Aus dem Bereich Forschungsmethoden wurde ein Artikel gewählt.
Um die gesellschaftlichen Auswirkungen von Reallaboren zu bewerten, hat Matthias Wanner aus dem Forschungsbereich Innovationslabore gemeinsam mit Prof. Dr. Karolin Augenstein von der Bergischen Universität Wuppertal, Prof. Dr. Timo von Wirth von der Frankfurt University of Applied Sciences und Prof. Dr. Daniel Lang vom Karlsruher Institut für Technologie in ihrem Beitrag "Impacts of urban real-world labs: insights from a co-evaluation process informed by structuration theory in Wuppertal-Mirke" die Strukturationstheorie angewandt: Die Autor*innen haben die Theorie auf das Mirker Quartier in Wuppertal angewandt, um die Effekte von sechs Projekten zur koproduktiven Stadtgestaltung zu analysieren, die dort durchgeführt wurden. Darüber hinaus haben sie die Strukturationstheorie um neue Unterkategorien erweitert.
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