Globale Klimagerechtigkeit: Wie ein Andenbauer aus Peru Rechtsgeschichte schreibt

Ein Statement von Giacomo Sebis, Ass. iur.

  • Statements 17.03.2025

Heute, am 17. März, und am 19. März 2025 finden vor dem Oberlandesgericht Hamm mündliche Verhandlungen in einem historischen Rechtsprozess statt: Ein Andenbauer aus Peru klagt seit 2015 gegen den Energieriesen RWE auf Schadensersatz für dessen Beitrag zur Klimakrise. Erstmals beschäftigt sich ein Gericht ausgiebig mit der Frage, inwiefern Unternehmen unter geltendem Recht für Klimaschäden finanziell zur Verantwortung gezogen werden können. Allein dieser Umstand geht in die deutsche Rechtsgeschichte ein.

Worum geht es im Verfahren?

Der peruanische Andenbauer Saúl Luciano Lliuya lebt in der peruanischen Andenstadt Huaraz mit knapp 50.000 Einwohner*innen. Sie liegt in der Nähe eines Gletschersees, der sich in den vergangenen Jahren aufgrund zunehmender Gletscherschmelze vergrößert hat. Diese Gletscherschmelze ist auf die voranschreitende Erderwärmung zurückzuführen. Aufgrund dessen besteht das zunehmende Risiko, dass der Gletschersee über die Ufer tritt, sich große Eis- oder Felsbrocken lösen – und Huaraz so von einer Flutwelle erfasst wird. Zudem könnte der zunehmende Verlust des Gletschers die Wasserversorgung in der Region gefährden. Insgesamt sind die Lebensgrundlagen der in Huaraz lebenden Menschen akut gefährdet – und somit auch die von Saúl.

Was genau möchte die Klage erreichen?

Um die Menschen in Huaraz vor den zuvor genannten Gefahren zu schützen, sind Schutzmaßnahmen notwendig, beispielsweise verbesserte Dämme. Diese kosten jedoch viel Geld – und RWE soll sich nach Ansicht des Klägers an den Kosten beteiligen. RWE ist einer der weltweit größten Treibhausgasemittenten: Das Unternehmen gehört zu den 100 Unternehmen weltweit, die in Summe knapp 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen. Allein RWE ist für ungefähr 0,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hier tritt eine häufig in Klimadebatten diskutierte ungleiche Verteilung der Kosten der Klimakrise zutage: Während in reichen Ländern sehr viel Treibhausgase emittiert werden, treten die negativen Auswirkungen – etwa in Form von Überflutungen oder Hitzewellen – verstärkt im Globalen Süden auf.

Dementsprechend kommt RWE laut Kläger eine Verantwortlichkeit für die verschärften klimabedingten Risiken in Huaraz zu. Das Unternehmen soll, anteilig zu seinem Beitrag von ca. 0,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen, 17.000 Euro zahlen. Es geht somit im Grunde um nicht weniger als die Frage, wie Forderungen nach globaler Klimagerechtigkeit durchgesetzt werden können. 

Was ist bislang passiert?

Schon bevor die mündliche Verhandlung für März 2025 angesetzt wurde, hat das Verfahren deutsche Rechtsgeschichte geschrieben.

Die Klageeinreichung im November 2015 beim Landgericht Essen wurde von einer gut vorbereiteten Medienkampagne begleitet und Saúl wird von zahlreichen Organisationen, unter anderem Germanwatch, intensiv unterstützt und von der bekannten Klimaanwältin Roda Verheyen vertreten. Verheyen war 2021 schon am historischen Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts beteiligt. 

Ende 2016 wies das Landgericht Essen die Klage ab, weil es im Wesentlichen davon ausging, dass RWE nicht für die Klimarisiken in Huaraz verantwortlich sei. Saúl legte Berufung ein und diese wurde 2017 zugelassen. Bereits das war ein historischer Schritt, da das Gericht nun in die Beweisaufnahme eintreten und sich in rechtlicher Hinsicht mit der Verantwortlichkeit von RWE auseinandersetzen konnte. Es ist das erste Mal, dass sich ein Gericht mit Haftungsfragen von Unternehmen im Rahmen der Klimakrise auseinandersetzt. Im Anschluss wurde ein Sachverständiger bestellt und im Mai 2022 fand ein Ortsbesuch in Huaraz statt, unter Anwesenheit des Sachverständigen und einiger Richter des mit dem Fall befassten Senats. Auch dies ist besonders spannend, weil durch die Beweisaufnahme eine Substantiierung der zugrundeliegenden Rechtsfragen stattfinden kann. 2023 legte der Sachverständige ein erstes Gutachten vor und im Februar 2025 wurden die Termine für die mündliche Verhandlung verkündet.

Warum ist das Verfahren in rechtlicher Hinsicht so besonders?

Das Verfahren eröffnet in vielerlei Hinsicht rechtliches Neuland: Zunächst geht es zum ersten Mal um die Frage, ob ein Unternehmen für klimabedingte Risiken oder Schäden Schadensersatz leisten muss. In anderen prominenten Verfahren, etwa Milieudefensie v. Shell in den Niederlanden, stand die Frage im Vordergrund, ob Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen senken müssen. Nunmehr soll jedoch die Frage zentral sein, ob Unternehmen auch haften, also konkret finanziell für Klimarisiken einstehen müssen. Außerdem wird eine Vorschrift aus dem deutschen Zivilrecht – § 1004 BGB – sehr kreativ und unkonventionell angewendet: Diese Vorschrift behandelt eigentlich Streitigkeiten zwischen Eigentümer*innen benachbarter Grundstücke und soll dafür sorgen, dass Beeinträchtigungen von Grundstücken durch die Verursacher*innen beseitigt werden. Diese Klausel soll im Verfahren Saúl v. RWE jedoch eine ungewohnte Ausdehnung erfahren: Die Treibhausgasemissionen von RWE sollen als Beeinträchtigung des Grundstücks von Saúl angesehen werden, sodass RWE als Verursacher dazu verpflichtet werden soll, diese Beeinträchtigung zu beseitigen. Ein besonderes Augenmerk legen die beteiligten Parteien auf die Begründung dieser Verursachung – also auf die Frage, ob die Klimarisiken in Huaraz wirklich RWE als individuellem Treibhausgasemittenten zugeordnet werden können.

Die mündliche Verhandlung als Fortsetzung erfolgreicher Klimaklagen

Die mündliche Verhandlung am Oberlandesgericht Hamm ist ein weiterer bedeutsamer Schritt in einer Reihe zahlreicher international erfolgreicher Klimaprozesse der vergangenen Monate: Im April 2024 hatte die erste Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Erfolg und bestätigte, dass die Klimakrise zu Menschenrechtsverletzungen führen kann. Im Mai 2024 veröffentlichte der Internationale Seegerichtshof in Hamburg ein lang erwartetes Gutachten, in dem er bestätigte, dass Treibhausgasemissionen eine Verschmutzung der Weltmeere sind. Im Dezember 2024 fanden zwei Wochen lang Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag statt, die dieser zur Anfertigung eines Gutachtens zu Klimaschutzpflichten im Völkerrecht heranziehen wird. Auf diese Weise werden die Pflichten von Staaten und Unternehmen zum Schutze des Klimas weiter verschärft. 

Ob dies im Verfahren Saúl v. RWE ebenfalls gelingen wird, wird sich nach den Verhandlungen zeigen. Auf jeden Fall steht fest: Dieses Verfahren wird über den Einzelfall von Saúl hinaus eine große Signalwirkung für Unternehmen sowie ähnlich gelagerte Fälle haben. 


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