Im Verlauf des Jahres 2021 wurden fünf große Transformationsstudien veröffentlicht, die zeigen, wie Deutschland seine selbst gesteckten Klimaschutzziele, also Treibhausgasneutralität 2045, erreichen kann. Dabei handelt es sich um Studien von Agora Energiewende, dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Bundeswirtschaftsministerium, der Deutschen Energie-Agentur (dena) und dem Bundesforschungsministeriums im Rahmen des Verbundprojektes Ariadne. Trotz der unterschiedlichen Auftraggeber sind sie sich in den Ergebnissen und der Analyse weitgehend einig. Kurz gefasst bedeutet dies:
Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Ganz entscheidend für die Umsetzung ist aber aus heutiger Sicht mehr Ehrlichkeit und Transparenz. Denn es zeigt sich eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem Handlungsdruck, wie er sich aus den großen Transformationsstudien ableitet, und den realen Zeitkonstanten. In Studien werden die notwendigen technischen und ökonomischen Transformationspfade skizziert, die sich in der Realität bisher aber an vielen Stellen aufgrund vielfältiger Restriktionen und Hürden nicht widerspiegeln. Die Umsetzung der Klimaschutzziele ist daher kein Selbstgänger. Setzt sich dieser Eindruck fest, besteht die Gefahr wertvolle Zeit durch Abwarten zu verlieren. Dem Ziel kommt man nur dann näher, wenn man die mit dem Umsetzungspfad verbundenen Schwierigkeiten und die vielfältigen Konfliktlagen transparent macht und auf dieser Basis nach Lösungen sucht. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat daher recht, wenn er wie Mitte Dezember 2021 kurz nach seinem Amtsantritt von Zumutungen spricht, die der Gesellschaft auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität bevorstehen.
Ehrlichkeit betrifft auch und gerade das Aufzeigen der Zeitkonstanten, die heute einer hinreichend schnellen Umsetzung noch entgegenwirken. Anders ausgedrückt: Es müssen die Prozesse transparent gemacht werden, die hohe Hürden darstellen beziehungsweise so komplex sind, dass deren Überwindung aus heutiger Sicht viel Zeit kostet. Dies erfordert mutige und teilweise auch ganz neue Verfahren. Beispiele für Herausforderungen, die mit hohen Zeitkonstanten verbunden sind, gibt es leider viele:
Die wenigen Beispiele zeigen bereits, dass wir dringend einen Weg finden müssen mit den langen Zeitkonstanten umzugehen. Zudem müssen wir Politikpakete entwickeln, die genau an dieser Stelle ansetzen und helfen die Restriktionen schnell (!) zu überwinden. Sie müssen auch dafür vorsorgen, dass keine neuen großen Widerstände entstehen. Zwei Beispiele für zukünftige Gefahren mögen dies belegen:
Bei der Umsetzung der Klimaschutzziele reichen inkrementelle Veränderungen nicht aus, an vielen Stellen braucht es transformative Innovationen. Zentrales Merkmal von diesen Innovationen ist, dass sie ein besonders hohes Potenzial, eine große Hebelwirkung und Wirkmächtigkeit haben, um den Gesamtprozess einer Großen Transformation zur Nachhaltigkeit voranzubringen – auch transformatives Potenzial genannt. Sie können einerseits auf einzelne Sektoren oder Anwendungsfelder begrenzt sein, wirken aber andererseits auf die gesamte Gesellschaft und deren Transformation ein. Transformative Innovationen umfassen dabei sowohl technische Innovationen (wie digitales Tracking von Rohstoffen als wesentliches Element für die Umsetzung einer Zirkulären Wirtschaft) beziehungsweise Innovationsbündel (z. B. Umsetzung einer Wasserstoffwirtschaft) wie soziale Innovationen. Zu letzterem gehören etwa nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung, die die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten vorantreiben können. Aufgrund der Wirkmächtigkeit derartiger Innovationen ist es von entscheidender Bedeutung, eine sorgfältige Analyse der mit ihnen verbundenen strukturellen Veränderungen durchzuführen – also zu analysieren, welche Wirkung sie auf Wertschöpfung sowie Beschäftigung (und zwar qualitativ wie quantitativ) in den Wirtschaftssektoren haben. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, hinreichend früh proaktive Maßnahmen zu entwickeln, die den Strukturwandel flankieren können und die betroffenen Akteur*innen in die Lage versetzen, sich mit dem notwendigen Vorlauf anzupassen.
Ein zweites Beispiel betrifft die Gefahr von Exklusionseffekten. Diese können entstehen, wenn viele Fördermaßnahmen wie aktuell im Bereich der Förderung der Elektromobilität nur einen Teil der Bevölkerung erreichen. Es richtet sich also nur an diejenigen, die sich derartige Fahrzeuge überhaupt leisten können, während der größere Teil der Bevölkerung außen vor bleibt. Ähnliche Effekte ergeben sich bei dem Werben um Investitionsbeteiligung in Windenergieanlagen. Derartige Maßnahmen sind zweifelsohne notwendig, um die Marktdurchdringung zu stärken, das Henne-Ei-Problem zu überwinden, bedürfen gleichwohl einer sorgfältigen Balance um Beteiligung. Bei der Windenergie ließe sich dies dadurch erreichen, indem nicht nur die Investoren von den Einnahmen der Anlagen profitieren, sondern die gesamte Kommune auf deren Gebiet die Anlagen aufgestellt werden und diese die zusätzlichen Einnahmen gemeinwohlorientiert verausgaben.
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