Mit Koalitionsvertrag gelingt Einstieg in Dekade der Umsetzung

Eine Einschätzung von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick hinsichtlich der für den Klimaschutz essenziellen Bereiche

  • Statements 25.11.2021

Beherrschte in den letzten Jahren die Diskussion über die richtigen Klimaschutzziele das politische Handeln, nicht zuletzt angetrieben durch den Druck der Zivilgesellschaft, allen voran die Fridays-for-Future-Bewegung, und ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Frühjahr 2021, ist der Geist des Koalitionsvertrags geprägt von einem klaren aber auch dringend notwendigen Umsetzungswillen. Dies betrifft alle relevanten Sektoren gleichermaßen, wenn auch den Bereich Verkehr deutlich am schwächsten. Der beschleunigte Umstieg auf Elektromobilität und die Stärkung der Bahn/des ÖPNV wird nicht ausreichen für eine umfassende Mobilitätswende. Stärkung des Rad- und Fußverkehrs und eine umweltgerechte Stadtentwicklung kommen zu kurz.
Bemerkenswert ist das positive Narrativ des Vertrages. Klimaschutz wird an vielen Stellen als Gestaltungschance verstanden und als Möglichkeit zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland sowie als entscheidender Beitrag für das Auslösen einer Innovationsdynamik. Maßnahmen zum Schutz des Klimas werden nicht als Gegensatz zu industrieller Entwicklung gesehen, sondern zusammengedacht mit Deutschland als zukunftsfähigen, innovativen und attraktiven Industriestandort. Damit folgt der Koalitionsvertrag dem European Green Deal Ansatz der Europäischen Union und formuliert Klimaschutz als Querschnittsaufgabe.

Auf übergeordneter Ebene ist die klare Ausrichtung auf das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels bemerkenswert. Dafür soll in 2022 das erst in diesem Jahr angepasste Klimaschutzgesetz noch einmal weiterentwickelt und ein Klimaschutzsofortprogramm aufgestellt werden. Alle gesetzlichen Vorhaben sollen dann auch einen sogenannten Klimacheck durchlaufen. Hierbei bleibt abzuwarten, wie effektiv dieser Klimacheck ist, denn in der Formulierung ist er zumindest nicht gleichzusetzen mit einem Klimaschutzvorbehalt oder dem Veto-Recht aus Sicht des Klimaschutzes, der in den Koalitionsverhandlungen immer mal wieder thematisiert wurde. Bei der Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes ist zu befürchten, dass das im jetzigen Gesetz verankerte "scharfe Schwert" der absoluten jährlichen Sektorziele zu Gunsten einer sektorübergreifenden mehrjährigen Gesamtrechnung geopfert wird. Damit würde den Ministerien der Druck genommen, ihre Klimaschutzmaßnahmen nachzuschärfen, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verpflichtung und der Wille zum Handeln ressortübergreifend über andere Mechanismen sichergestellt werden kann.

Auf der Ebene der Sektoren liest sich der Koalitionsvertrag wie ein Kompendium der notwendigen Klimaschutzstrategien. Viele Aspekte und auch Zielformulierungen leiten sich direkt aus den großen Transformationsstudien ab, die aufzeigen, wie Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral werden kann – und gehen zum Teil sogar darüber hinaus.

Konkrete Ausbauziele für die Erneuerbaren

Für den für den Klimaschutz zentralen Ausbau der erneuerbaren Energien werden für das Jahr 2030 konkrete Ausbauziele für Photovoltaik und Offshore-Windenergie formuliert und für Onshore-Windenergie eine 2-Prozent-Flächenziel vorgegeben. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Abdeckung des Bruttostromverbrauchs soll laut Koalitionsvertrag bis zum Jahr 2030 von aktuell 65 Prozent auf 80 Prozent angehoben werden und gleichzeitig die Bezugsgrundlage für den Bruttostromverbrauch im Jahr 2030 ebenfalls – zurecht – erhöht werden. Ganz entscheidend ist aber, dass für den Ausbau erneuerbarer Energien ein klarer Vorrang in der Schutzgüterabwägung gelten soll und damit viele der heutigen Blockaden – etwa in der Abwägung gegenüber dem Natur- /Artenschutz – behoben werden könnten. Für die zentrale Herausforderung der Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungszeiten werden konkrete Instrumente genannt, deren schnelle Umsetzung essenziell ist, um die notwendige Ausbaugeschwindigkeit zu generieren. Insgesamt soll die dezentrale Nutzung erneuerbarer Energien gestärkt werden, unter anderem durch eine Solarpflicht für Nutzgebäude und vereinfachte Regeln für Mieterstrommodelle sowie die Unterstützung der Aufstellung von kommunalen Wärmeplänen.

Koalitionsvertrag enthält "Formulierungsstrick" beim Kohleausstieg

Den Wahlkampf hat der beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung stark geprägt. Allerdings: Hier bemüht der Koalitionsvertrag einen Formulierungstrick, denn er legt sich nicht genau fest, sondern spricht davon, dass dieser "idealerweise bis 2030" erreicht werden soll. Diese Formulierung erscheint eher als Zugeständnis und ist vermutlich ohnehin nur von symbolischer Kraft, da die Außerbetriebnahme der Kohlekraftwerke unter der Voraussetzung der Normalisierung der Gaspreise und eines gelingenden verstärkten Ausbaus erneuerbarer Energien ohnehin marktbedingt sehr schnell gehen dürfte. Helfen kann dabei die Zielvorgabe im Koalitionsvertrag, den für die Energiewirtschaft relevanten CO2-Preis nicht unter 60 Euro pro Tonne CO2, sinken zu lassen und zumindest indirekt einen CO2-Mindestpreis einzuführen.

Schwerpunkt im Koalitionsvertrag ist Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft

Das Stichwort "Wasserstoff" kommt allein 28 Mal im Vertragstext vor. Hervorzuheben ist hier das gegenüber der bisherigen Wasserstoff-Strategie des Bundes verstärkte Fokussieren auf die heimische Erzeugung. Dies erscheint vor dem Hintergrund zum Teil unrealistischer Hoffnungen, quasi im Turbotempo komplexe internationale Importstrukturen schaffen zu können, absolut sinnvoll.
Während für die Energiewirtschaft Vorstellungen für die Entwicklung des CO2-Preises bestehen, gilt dies außerhalb nicht. Klarheit besteht dagegen in Bezug auf die Abschaffung der durch die Stromverbrauchenden zu zahlenden EEG-Umlage und die Zielsetzung, Anreize für die Sektorenkopplung durch den verstärkten Einsatz von Strom zu schaffen. Zusätzliche Entlastungen von potenziellen Mehrkosten sollen über ein sogenanntes Klimageld erfolgen. Unter welchen Bedingungen und wie dies umgesetzt werden soll, bleibt allerdings offen.

Klimaschutz in der Industrie, beschleunigte Kreislaufwirtschaft und Gebäude auf gutem Weg

Der Industrie soll mit konkreten Finanzierungsinstrumenten geholfen werden, Investitionen in klimaverträgliche Produktionsstrukturen auch unter dem großen Druck des Weltmarktes tätigen zu können. Eine "Allianz für Transformation" soll sicherstellen, dass alle zentralen Akteur*innen aus Wirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften bei der Umsetzung des notwendigen Transformationspfades an einem Strang ziehen. Die Formulierungen für den beschleunigten Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft im Koalitionsvertrag können als wirklicher Meilenstein verstanden werden mit zentrale Ansätzen, wie etwa die Entwicklung einer nationalen Kreislaufstrategie, der Einführung eines Produktpasses und eines Recyclinglabels sowie von Recyclingquoten. Hier sind die Hausaufgaben gemacht worden.
Auch im Bereich Klimaschutz und Gebäude liest sich der Vertrag wie eine gute Menüliste: die Erhöhung des Förderstandards bei der Gebäudesanierung, Erstellung von Sanierungsfahrplänen, Förderung des seriellen Sanieren, Einführung eines digitalen Gebäuderessourcenpass und eine sozial gerechte Verteilung von Zusatzkosten auf Mietende und Vermietende sind nur einige Beispiele. Zentral wird sein, dass es nicht nur bei den an verschiedenen Stellen formulierten Prüfaufträgen – wie die Möglichkeit des Umstiegs auf eine Teilwarmmiete – bleibt, sondern die Maßnahmen auch in die Umsetzung kommen.

Auf internationaler Ebene sollen wichtige Impulse gesetzt werden

Die Weiterentwicklung von bilateralen Wasserstoff- und Energiepartnerschaften sollen auf internationaler Ebene genauso wie für die Unterstützung Europäischen Union bei der Umsetzung ihres Klimaschutzprogramms "Fit for 55" Impulse setzen. Im Rahmen der im nächsten Jahr anstehenden G7-Präsidentschaft will die neue Bundesregierung eine Initiative für die Einrichtung sogenannter Klimaklubs ergreifen und damit Möglichkeiten schaffen, dass sich Vorreiterländer für den Klimaschutz vernetzen und unter einheitlichen Bedingungen schneller als der Rest der Welt vorangehen. Damit soll die Umsetzungsgeschwindigkeit deutlich über das hinaus erhöht werden, was über große komplexe internationale Klimaschutzkonferenzen wie kürzlich in Glasgow erreicht werden kann.

Offene Punkte und "Signal des Aufbruchs"

Naturgemäß bleiben in derartigen Verträgen viele Punkte offen. Beispielhaft betrifft dies die Kapazitätsengpässe im Handwerk, die einen massiven Flaschenhals für eine höhere energetischen Sanierungsrate im Gebäudebereich und den Ausbau erneuerbarer Energien darstellen und behoben werden müssten. Eine zentrale Herausforderung werde auch bleiben, die mit der Umsetzung der Klimaschutzziele verbundenen Strukturwandel-Effekte zu flankieren. Die im Koalitionsvertrag genannten Themen Kohle und Automobilwirtschaft sind dabei zwar zwei wichtige Bereiche, aber angesichts der massiven Veränderungen, die notwendig sind, nicht viel mehr als die Speerspitze. Entsprechend wird es entscheidend darauf ankommen, die strukturellen Wirkungen früh zu erkennen und flankierende Maßnahmen zu ergreifen.

Aufbruchsstimmung ist positives Signal, konkrete Umsetzung steht aber noch aus

Insgesamt gehe von dem Koalitionsvertrag aber durchaus ein "Signal des Aufbruchs" aus, es bleibt aber noch viel im Konkreten zu tun. Zudem wird die Koalition an dem gemessen werden müssen, was sie ganz konkret auch umsetzt. Für den Klimawandel, der durch die kumulierten Emissionen getrieben wird, also die insgesamt über den Zeitverlauf ausgestoßenen Emissionen und sich nicht nach den Emissionen an einem bestimmten Zeitpunkt ausrichtet, ist es von zentraler Bedeutung, dass schnell und konsequent gehandelt wird.


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