Tempolimit für AKW-Laufzeitverlängerung?

Eine Einschätzung von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick

  • Statements 22.07.2022

Der Druck auf die Bundesregierung, die Laufzeit der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke doch für eine begrenzte Zeit und unter bestimmten Umständen zu verlängern, scheint zuzunehmen. Die CDU bietet der Ampel-Koalition ein politisches Tauschgeschäft an: Längere Laufzeiten der Kernkraftwerke gegen ein temporäres Tempolimit. Das Bundeswirtschaftsministerium kündigte indes an, mit einem erneuten "Stresstest" zu prüfen, ob die Stromversorgung in Deutschland im Winter gesichert ist. Hinzu kommt die weiter bestehende Sorge um eine physische Verknappung von Erdgas im kommenden Winter in Abhängigkeit der unsicheren Entwicklung der Gasimporte aus Russland. Denn ungeachtet der Wiederaufnahme der Gaslieferung nach Beendigung der Wartung der Pipeline Nordstream I durch Gazprom am 21. Juli 2022 ist weiter davon auszugehen, dass Russland die Gaslieferung als strategisches Druckmittel weiter einsetzen wird.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob eine Laufzeitverlängerung der noch in Betrieb befindlichen drei deutschen Kernkraftwerke unter Umständen doch einen sinnvollen Beitrag zur Absicherung der Energieversorgung in Deutschland und Europa leisten könnte. Bei der Bewertung der Laufzeitverlängerung kommt es zunächst einmal darauf an, wie man diese definiert. Geht es um den sogenannten Streckbetrieb, dann bedeutet dies nichts anderes als die in den Anlagen verfügbaren Brennelemente länger zu nutzen. Wir sprechen hier über einige wenige Monate längere Laufzeit – allerdings zu dem Preis, dass die Anlagen vorher weniger stark ausgelastet werden können, also auch weniger Leistung bereitstellen können. Und das schon im Sommer/Herbst 2022.

Den Brennstoff über einen Streckbetrieb zeitlich flexibler zu nutzen, ist keine neue Erfindung, sondern durchaus geübte Praxis der Betreiberunternehmen. Der damit verbundene Aufwand ist entsprechend gering, die Maßnahme erprobt. Eine darüber hinausgehende Verlängerung der Laufzeit – das heißt, wie von einigen Akteur*innen vorgeschlagen über fünf Jahre oder mehr – würde hingegen ganz andere Maßnahmen erfordern und nur bei einer weitergehenden sicherheitstechnischen Ertüchtigung der Anlagen überhaupt möglich sein. Denn die Anlagen sind in Bezug auf ihre Wartung- und die Ertüchtigungsintervalle seit langem auf den Endzeitpunkt 31. Dezember 2022 ausgerichtet worden. Auch die Beschaffung neuer Brennelemente ist nicht einfach. Es gibt sie nicht "von der Stange", sondern müssen bezogen auf die jeweiligen Anforderungen der einzelnen Anlagen eigens für sie hergestellt werden. Diese Maßnahmen durchzuführen würde Zeit und vor allem auch Geld erfordern, was angesichts der kurzfristig zu lösenden Herausforderungen nicht sinnvoll erscheint.

Der über einen Streckbetrieb zu generierende Beitrag zur Einsparung von Erdgas im Strombereich ist zudem begrenzt, wenn auch sicher nicht Null. Schätzungen zufolge liegt das insgesamt zu erreichende Einsparpotenzial für Erdgas etwa bei rund ein Prozent des deutschen Erdgasbedarfs. Denn: Erdgaskraftwerke werden mit entsprechend geringer Laufzeit eher als Spitzen- und Mittellastkraftwerke eingesetzt. Aufgrund der hohen Erdgaspreise gilt dies zurzeit erst recht. Erdgaskraftwerke sind ansonsten als Heizkraftwerke in der gekoppelten Strom- und Fernwärmebereitstellung im Einsatz, in der öffentlichen Versorgung genauso wie in der Industrie. Diese ist standortgebunden und lässt sich nicht einfach durch andere Kraftwerke ersetzen.

Die Frage der Laufzeitverlängerung ist aber bei weitem nicht nur eine technische Fragestellung oder abhängig davon, ob genügend Betriebspersonal zur Verfügung steht und Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen kurzfristig möglich sind sowie Haftungsfragen zu klären sind (wer bestimmt über den Streckbetrieb und haftet entsprechend für etwaige Störfälle, die nach Jahresfrist auftreten). Vielmehr erfordert sie auch eine politische Güterabwägung – insbesondere im europäischen Kontext. Die Erwartungshaltung an alle Mitgliedsstaaten ist ein hohes Maß an Solidarität in der Versorgungskrise. Dies umfasst die Bereitschaft alle Möglichkeiten auszuschöpfen, den Erdgasverbrauch zu reduzieren, sofern dem keine schwerwiegenden Argumente entgegenstehen. So wie die Niederlanden klären müssen, in wie weit eine Steigerung der Erdgasförderung im Erdgasfeld Groningen sicherheitstechnisch möglich ist ohne die Erdbebengefahr maßgeblich zu erhöhen – beispielweise über die Anwendung neuer technischer Fördermethoden wie Einspritzen von Stickstoff in den Boden –, gilt dies auch für einen möglichen Streckbetrieb der deutschen Kernkraftwerke und den damit verbundenen realistischen Einspareffekt. Diese Prüfung gewissenhaft durchzuführen ist in der jetzigen Situation sicher richtig. Eine Vermengung mit der aus vielerlei Hinsicht ohnehin sinnvollen Einführung eines Tempolimits ist sachlich dagegen abwegig und in der Wahrnehmung eines politischen Kuhhandels für die gesellschaftliche Akzeptanz kontraproduktiv.


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