Krise im Wohnungsbau bietet Chancen

Statement: Oliver Wagner und Anja Bierwirth zu den Herausforderungen für die deutsche Bauwirtschaft

  • Statements 20.09.2023

Viele Baubetriebe in Deutschland klagen über abgesagte Projekte und fehlende Aufträge. Im August berichteten 20,7 Prozent der Firmen von abgesagten Projekten, nach 18,9 Prozent im Vormonat. Doch in der Krise der Baubranche steckt auch eine große Chance.
 
Unsere Berechnungen zeigen, dass wir die Sanierungsraten im Wohnungsbau fast vervierfachen müssen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Vor allem im Mietwohnbereich gibt es in Ballungsräumen einen erheblichen Sanierungsbedarf. Dies anzugehen würde vor allem dazu führen, dass die kommunalen Haushalte bei den Sozialausgaben, den Kosten der Unterkunft und des Wohngeldes entlastet würden. Vor allem Familien mit geringem Einkommen brauchen dringend mehr Engagement bei der Sanierung von Wohnraum. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass das nach Einkommen unterste Fünftel aller Mieterhaushalte im Jahr 2021 durchschnittlich fast die Hälfte des verfügbaren Einkommens für Wohnkosten ausgab. Mehr als ein Drittel der Mieter*innen (36,2 Prozent) in der untersten von fünf Einkommensgruppen lebte in einem als überbelastet geltenden Haushalt. Angesichts der durch den Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine gestiegenen Preise wird dieser Anteil aktuell noch höher sein und die Preisbremsen der Bundesregierung können nicht beliebig lange finanziert werden. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist zudem die zukünftige Entwicklung der Heizkosten. Denn das Brennstoffemissionshandelsgesetz (CO2-Bepreisung) und steigende Bezugspreise für Gas und Öl, machen es insbesondere für Haushalte mit geringem Einkommen immer schwieriger, die Heizkosten zu tragen.

Nur eine konsequente Realisierung der hohen Einsparpotenziale im Wohnungsbestand schützt vor den enormen Risiken steigender Energiepreise.
Außerdem ist es dringend erforderlich, dass der öffentliche, vor allem der kommunale Gebäudebestand modernisiert wird. Allein der Sanierungsstau unserer Schulen summiert sich bundesweit auf fast 46 Milliarden Euro. Auch andere öffentliche Einrichtungen, müssen dringend zukunftsfest gemacht werden, damit wir unsere soziale und kulturelle Infrastruktur klimafreundlich, wirtschaftlich und damit zukunftssicher aufstellen. Das betrifft etwa Schwimmbäder, Theater und Opernhäuser genauso wie Rathäuser und Feuerwachen. Selbst unsere verletzliche Infrastruktur benötigt erhebliche Investitionen, um klimafreundlich zu werden. Allein in NRW belaufen sich die erforderlichen Investitionen zur energetischen Sanierung der Krankenhäuser auf 7,1 Milliarden Euro verteilt auf sieben Jahre, um das für 2030 gesteckte Klimaschutzziel zu erreichen. Der größte Anteil, nämlich 6,3 Milliarden Euro, entfällt dabei auf die Dämmung der Gebäudehüllen. Maßnahmen in diesem Bereich sind zudem auch aus Gründen des Gesundheitsschutzes sinnvoll. Denn ein effizientes Krankenhaus bietet zudem ein besseres Innenraumklima, was vor allem an heißen Sommertagen für kranke Menschen ein Beitrag zur Vorsorge ist.

Bund, Länder und Kommunen müssen ihrer Vor- und Leitbildfunktion gerecht werden, indem sie den öffentlichen Gebäudebestand energetisch sanieren und auf erneuerbare Energien umstellen.
Angesichts der in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommenen Pro-Kopf-Wohnflächen-Inanspruchnahme ist zudem kurzfristig mit einer Trendumkehr im Wohnungsbereich zu rechnen. Spätestens dann, wenn sich die jetzt noch in großen Häusern lebenden Senior*innen umorientieren oder versterben, wird ausreichend Wohnfläche auch für Familien auf den Markt kommen. Zahlen des statistischen Bundesamtes belegen, dass 27 Prozent der alleinlebenden über 65-Jährigen auf je mindestens 100 Quadratmetern wohnen. Die Gruppe der Rentner*innen beansprucht durchschnittlich fast 70 Quadratmeter pro Person und damit deutlich mehr als der Durchschnitt (47,4 Quadratmeter). Wobei auch der Durchschnitt seit Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen ist. So nahm die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland zwischen 2011 und 2021 um 1,6 Quadratmeter trotz Zuwanderung spürbar zu und stieg im Vergleich zu 1991 (34,9 Quadratmeter) sogar um 12,5 Quadratmeter.

Statt weiter den Bau von Wohnungen zu fördern, hat die Bundesregierung nun eine große Chance, um die die Aktivitäten der Bauwirtschaft dorthin zu lenken wo sie besonders dringend erforderlich ist, nämlich in die Ertüchtigung der öffentlichen Infrastrukturen, in die Sanierung des Mietwohnbestands und in den Ausbau erneuerbarer Energien.
Denn neben der Sanierung des Altbaubestands wird die Baubranche gebraucht, um die Wärmewende umzusetzen. Im Rahmen der kommunalen Wärmeplanungen wird eine Verdreifachung der Wärmeversorgung durch Wärmenetze anvisiert. Auch der Hochlauf der Wärmepumpen sowie Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes und europäische Vorgaben erfordern viele gut ausgebildete Handwerker*innen, die alte Gas- und Ölheizungen gegen moderne und klimafreundliche Technik austauschen und nicht zuletzt wird auch für den Ausbau erneuerbarer Energien ein weites Tätigkeitsfeld für die Bauwirtschaft werden: Allein bei Windenergie an Land sollen jährlich zehn Gigawatt installierte Leistung dazukommen, was rund 3.000 neuen Windenergieanlagen und damit einer Versechsfachung der aktuellen Zahlen entspricht. Auch die Verkehrswende braucht die Baubranche: Die Modernisierung der Schienenwege, der Ausbau von Radwegen und die Instandhaltung bestehender Infrastrukturen, vor allem von Brücken und Fernstraßen, sind auf ausreichend Kapazitäten in der Bauwirtschaft angewiesen.

Angesichts des seit Jahren beklagten Fachkräftemangels besteht nun die Chance, freie Kapazitäten in die Transformation, den Umbau und die Sanierung unserer Infrastrukturen zu lenken. Dafür müsse die Bundesregierung nun die richtigen Signale geben und beispielsweise ein bundesweites Förderprogramm zur energetischen Sanierung von Bildungseinrichtungen, vor allem für Schulen und Universitäten sowie von kritischen Infrastrukturen, allen voran den seit Jahrzehnten vernachlässigten Energiezustand von Krankenhäusern, auflegen. Langfristig würde dies auch die öffentlichen Haushalte entlasten, denn die eingesparten Energiekosten können dann sinnvoll für andere Maßnahmen ausgegeben werden.

Daher lautet unser Fazit: Eine Krise der Baubranche kann abgewendet werden, wenn jetzt die Weichen für einen Transformationsfonds gesetzt werden, der vor allem öffentliche und private Träger von Bildungs- Kultur und Sozialeinrichtungen unterstützt sowie die Sanierung von Mietwohngebäuden in Ballungszentren fördert.

 


Cookie-Einstellungen

Cookies helfen uns, die Website für Sie ständig zu verbessern. Mit dem Klick auf den Button "Zustimmen" erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden. Für weitere Informationen über die Nutzung von Cookies oder für die Änderung Ihrer Einstellungen klicken Sie bitte auf Mehr über die Verwendung und Ablehnung von Cookies.