Einschätzungen zur Entwicklung der THG-Emissionen in Deutschland im Jahr 2023

Ein Statement von Prof. Dr. Manfred Fischedick und Dr. Sascha Samadi

  • Statements 15.03.2024

Der vom Umweltbundesamt am 15. März auf Basis vorläufiger Berechnungen berichtete Rückgang der Treibhausgasemissionen Deutschlands um rund 10 Prozent im letzten Jahr ist in Hinblick auf den Klimaschutz natürlich sehr erfreulich. Ein genauerer Blick auf die Gründe des Emissionsrückgangs verdeutlicht aber, dass nur ein kleiner Teil dieses Rückgangs wirklich auf langfristig wirkende Klimaschutzmaßnahmen zurückgeführt werden kann. Vielmehr sind besondere Entwicklungen, die sich zum Teil in den nächsten Jahren auch wieder umkehren können, für einen Großteil des Emissionsrückgangs verantwortlich. Hierzu gehören insbesondere:

  • sehr deutliche Veränderungen im Stromhandel zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern (Deutschland ist von einem Stromexport- zu einem Stromimportland geworden),
  • ein milder Winter
  • sowie (ungewollte) Produktionsrückgänge in der energieintensiven Industrie infolge des auch im Jahr 2023 noch relativ hohen Energiepreisniveaus (im Jahr 2023 haben die energieintensiven Branchen laut Produktionsindex des Statistischen Bundesamtes rund 10 Prozent weniger produziert als im Jahr 2022).

Als klimaschutzorientierte Entwicklungen können dagegen der deutlich dynamischere Ausbau erneuerbarer Energien im Bereich der Stromerzeugung sowie verhaltensbedingte Rückgänge des Energiebedarfs gewertet werden – auch wenn letztere sicher in allen Sektoren zu großen Teilen preisinduziert gewesen sein dürften.

Erfreulich ist, dass die jährlich für das Umweltbundesamt aktualisierte Projektion der Treibhausgasemissionen nun erstmals zeigt, dass Deutschland sein Klimaschutzziel für die gesamten Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 einhalten könnte. Dieser gegenüber den Vorjahren optimistischere Ausblick der Emissionsentwicklung bis 2030 ist in großen Teilen den klimapolitischen Weichenstellungen der aktuellen Bundesregierung zu verdanken. Beigetragen haben hierzu unter anderem die verbesserten Rahmenbedingungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung, die Anpassungen bei der Bundesförderung für effiziente Gebäude sowie die Erhöhung der Lkw-Maut.

Trotz positiver Entwicklung dürfen die Klimaschutzbemühungen nicht nachlassen – im Gegenteil

Allerdings sollten weder der deutliche Rückgang der Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr noch die Verbesserungen in der Projektion der Treibhausgasemissionen dazu führen, dass sich Deutschland beim Klimaschutz bereits „auf Kurs“ wähnt und seine Klimaschutzbemühungen in den kommenden Jahren runterfährt. So verdeutlicht die nun vom Umweltbundesamt vorgelegte Projektion auch, dass Deutschland seine auf EU-Ebene bestehenden Emissionsminderungsziele bis 2030 deutlich verfehlen wird, da sich diese Ziele auf die Sektoren Verkehr und Gebäude beziehen, in denen auch in den kommenden Jahren nur sehr langsame Emissionsminderungen erwartet werden. Eine Verfehlung dieser Ziele hätte zur Folge, dass Deutschland bis 2030 bedeutende finanzielle Mittel aufbringen müsste, um Emissionsberechtigungen aus dem Ausland zu beziehen. Zudem ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass vorliegende Projektionen weiterhin davon ausgehen, dass bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklungen und politischen Maßnahmen das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 deutlich verfehlt wird. Um diese Lücke zu schließen und auch die Zielerreichung für den Zeitraum bis 2030 abzusichern, müssen bereits jetzt zusätzliche, ambitionierte Maßnahmen in allen Sektoren (vor allem aber in den Problemsektoren Verkehr und Gebäude) beschlossen und konsequent umgesetzt werden.

Konsequenz und Klarheit in der Umsetzung ist aber auch bei den Maßnahmen notwendig, die schon länger beschlossen sind und die Eingang in die aktuellen Projektionen des Umweltbundesamtes gefunden haben. Mit der Ausschreibung von Klimaschutzverträgen für die Industrie, die mit dem ersten Förderaufruf am 12. März 2024 jetzt gestartet ist, setzt die Bundesregierung positive Signale. Mit der Verabschiedung des am Ende stark verwässerten Gebäudeenergiegesetzes im Herbst 2023 und der Anfang Februar 2024 veröffentlichten, allenfalls halbherzigen Kraftwerksstrategie, wird jedoch deutlich, dass noch nachzuarbeiten ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Fortschritte in der Energiewirtschaft durch Erfolgsgeschichte Photovoltaik mit ergänzenden Maßnahmen flankieren

In der Energiewirtschaft, in der die Treibhausgasemissionen hauptsächlich durch die Stromerzeugung entstehen, konnten die Emissionen im letzten Jahr nach den vorläufigen Berechnungen des Umweltbundesamtes besonders stark gesenkt werden, nämlich um rund 20 Prozent, beziehungsweise etwa 52 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Dieser Sektor bleibt damit so etwas wie das „Vorzeigekind“ des deutschen Klimaschutzes. Der deutliche Rückgang im vergangenen Jahr ist aber auch hier nur zu einem relativ kleinen Teil auf erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen zurückzuführen. So erklärt sich der Rückgang in diesem Sektor hauptsächlich durch Veränderungen im Stromhandel: Während Deutschland jahrelang und bis 2022 Nettoexporteur von Strom war, wurde im vergangenen Jahr erstmals seit über 20 Jahren wieder – wenn auch in moderatem Umfang – mehr Strom aus den Nachbarländern importiert als exportiert. Dadurch liefen Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland weniger intensiv. Vor allem der Rückgang der Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken um rund ein Viertel wirkt sich sehr deutlich auf die Treibhausgasbilanz aus. Die Kohlekraftwerke in Deutschland wurden im Jahr 2022 aufgrund des Erdgaspreisanstiegs und der befürchteten physischen Verknappung im Bereich der Gasversorgung verstärkt eingesetzt. 

Darüber hinaus haben der Zubau bei den erneuerbaren Energien, der in den letzten zwei Jahren deutlich an Dynamik gewonnen hat, sowie Einsparungen beim Stromverbrauch zum Emissionsrückgang in der Energiewirtschaft beigetragen. Besonders positiv hervorzuheben ist dabei der Ausbau der Photovoltaik, der im vergangenen Jahr – auch durch die in den letzten zwei Jahren ergriffenen politischen Maßnahmen – fast doppelt so hoch lag wie im Vorjahr. Mit über 14 Gigawatt neu installierter Leistung wurde der bisherige Zubaurekord von rund 8 Gigawatt aus dem Jahr 2012 sehr deutlich übertroffen. Wenn es gelingt, diese positive Ausbaudynamik bei den erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren fortzusetzen und insbesondere bei der Windenergie noch eine gute Schippe draufzulegen, stehen die Chancen gut, dass die Emissionen der Energiewirtschaft auch in den nächsten Jahren weiter stark sinken.

Flankierend zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind dabei eine weitere Beschleunigung des Um- und Neubaus der Stromnetze sowie der zügige Zubau neuer und zukünftig mit Wasserstoff betreibbarer Gaskraftwerke von hoher Bedeutung. Gerade in diesen Bereichen geht es darum, jetzt Fahrt aufzunehmen und Umsetzungshürden schnell noch weiter abzubauen, um nicht Gefahr zu laufen, dass der Ausstieg aus der Kohleverstromung, der für das Rheinische Revier schon bis 2030 erfolgen soll und von dem ein erheblicher Treibhausgasminderungsbeitrag erwartet wird, nicht erfolgen kann. Die von der Bundesregierung im Februar 2023 verabschiedete Kraftwerksstrategie ist, bezogen auf diese Zielsetzung, unzureichend und halbherzig. Hier muss schnell und deutlich nachgebessert werden, damit die Unternehmen jetzt verlässliche Investitionsentscheidungen für wasserstofffähige Kraftwerke treffen können und um Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsprozesse einleiten zu können.

Nicht von der Konjunktur blenden lassen: Der nächste Aufschwung muss schon jetzt klimapolitisch vorbereitet werden

In der Industrie ist die vom Umweltbundesamt berichtete deutliche Minderung der Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr (um nahezu 8 Prozent beziehungsweise fast 13 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente) hauptsächlich auf Produktionsrückgänge zurückzuführen, insbesondere in den energieintensiven Industriebranchen. Im Jahr 2023 haben diese Branchen laut Produktionsindex des Statistischen Bundesamtes rund 10 Prozent weniger produziert als im Jahr 2022, was im Wesentlichen auf das relativ hohe Preisniveau, besonders bei Erdgas und Strom, zurückzuführen ist. Durch die relativ hohen Energiepreise in Deutschland verschlechterte sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen. Die Industrie insgesamt – also inklusive nicht-energieintensiver Industriebranchen – konnte im vergangenen Jahr das Produktionsniveau des Jahres 2022 hingegen nahezu halten.

Sollte sich die zuletzt beobachtete Entspannung bei den Energiepreisen in Deutschland und Europa in den nächsten Monaten fortsetzen, könnte dies dazu führen, dass die Produktionsmengen in den energieintensiven Branchen im Jahr 2024 wieder ansteigen. Dadurch könnte sich zumindest ein Teil des Emissionsrückgangs des letzten Jahres als kurzfristiger Effekt herausstellen. Um die Treibhausgasemissionen des Industriesektors langfristig und kontinuierlich zu reduzieren, ist eine Umstellung von Produktionsprozessen notwendig. Diese Umstellung steht weitgehend noch aus, wenn auch in den letzten Jahren – in vielen Fällen unterstützt durch staatliche Förderung – erste Investitionen in neue, klimaneutral betreibbare Produktionsprozesse angekündigt wurden. Die Umstellung von Produktionsprozessen muss daher in den nächsten Jahren energisch angegangen werden, wenn die Klimaschutzziele Deutschlands erreicht werden sollen. Hierfür sind förderliche politische Rahmenbedingungen unerlässlich, die neben dem zentralen Instrument des europäischen Emissionshandels kurz- bis mittelfristig auch Fördermaßnahmen wie Klimaschutzverträge (sogenannte Carbon Contracts for Difference) umfassen sollten. Infolge des erwarteten zukünftigen Preisanstiegs im Emissionshandel und mithilfe einer politisch unterstützen Stimulierung der Nachfrage nach „grünen“ Grundstoffen und Produkten können die staatlichen Ausgaben für die Förderung der Industrietransformation mittel- bis langfristig kontinuierlich reduziert werden.


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