Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie möchte offenbar den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen, um die Kosten der Energiewende zu reduzieren. Das hätte aber negative Folgen für Klimaschutz, industrielle Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz, schreiben Forschende des Wuppertal Instituts – und verweisen auf sinnvollere Möglichkeiten, den Umbau des Energiesystems kostengünstiger zu gestalten.
Am heutigen Montag, dem 15. September 2025, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) den Monitoringbericht "Energiewende. Effizient. Machen." (EWI & BET 2025) veröffentlicht, den das Ministerium zuvor beim Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) und BET Consulting beauftragt hat. Auf Grundlage des Berichts legt Bundeswirtschafts- ministerin Katherina Reiche unter anderem nahe, dass die bestehenden Ziele für den Ausbau der Wind- und Solarenergie bis zum Jahr 2030 gesenkt werden sollen (BMWE 2025), um in den kommenden Jahren die Kosten für den Umbau des Energiesystems zu begrenzen.
Das Wuppertal Institut empfiehlt hingegen ein Beibehalten der derzeit im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegten Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus. Der dynamische Anstieg der jährlichen Neuinstallationen – insbesondere bei der Photovoltaik – und der rasante Anstieg der Genehmigungen für Windenergieanlagen an Land in den vergangenen Jahren zeigen deutlich, dass die gegenwärtigen Ausbauziele bei entsprechendem politischem und gesellschaftlichem Willen erreichbar sind. Das Wuppertal Institut sieht eine Reihe gewichtiger Gründe, warum die Bundesregierung an den derzeitigen Ausbauzielen festhalten sollte – und verweist auf andere Hebel, mit denen die Politik die Kosteneffizienz der Energiewende steigern kann.
Gute Gründe für Festhalten an den derzeitigen Ausbauzielen
Ein weiterer dynamischer Ausbau der erneuerbaren Energien bietet zahlreiche handfeste Vorteile in Hinblick auf die folgenden wichtigen gesellschaftlichen Ziele:
Die Zusammenhänge werden im Folgenden näher erläutert, bevor anschließend darauf hingewiesen wird, dass es aus Sicht des Wuppertal Instituts deutlich bessere und nachhaltiger wirkende Möglichkeiten gibt, die Transformation des Energiesystems kostengünstiger zu gestalten.
Klimaschutz
Die Abbildung (siehe unten unter Pressebilder, bzw. hier zum Download) verdeutlicht: Vorliegende Studien legen nahe, dass in den nächsten Jahren ein Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig sein wird, der ungefähr den derzeitigen Ausbauzielen entspricht, um das im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gesetzlich festgeschriebene nationale Klimaziel für das Jahr 2030 erreichen zu können – eine Minderung der Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990. Die Erneuerbaren müssten folglich noch stärker zugebaut werden (insbesondere bei der Windenergie) als in den vergangenen Jahren.
Die Abbildung zeigt: Allen vier betrachteten Szenarien zufolge sind ab 2025 leicht höhere Zubauraten bei Photovoltaik und deutlich höhere Zubauten bei Windenergie notwendig, um bis 2030 die in den Szenarien angenommenen Kapazitäten erreichen zu können. Dennoch wird das deutsche Klimaziel für 2030 in den Szenarien nur knapp erreicht – beziehungsweise in einem Szenario sogar verfehlt. Das legt nahe: Wenn der Ausbau der Erneuerbaren in dieser Legislaturperiode deutlich hinter den gegenwärtig im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegten Zielen zurückbleiben sollte, ist das Erreichen des Klimaziels für 2030 stark gefährdet: Wenn weniger zugebaut wird als in den Szenarien angenommen, müsste stärker auf Stromerzeugung aus Erdgas- und Kohlekraftwerken zurückgegriffen werden - mit den damit einhergehenden zusätzlichen CO2-Emissionen.
Sowohl der heute vorgestellte Monitoring-Bericht als auch der aktuelle Bericht zur "Versorgungssicherheit Strom" der Bundesnetzagentur (2025) betonen auch, dass ein schneller Ausbau der Erneuerbaren weiterhin zentral ist für die Klimaschutzziele des Bundes. So führt der Monitoring-Bericht an: "Selbst bei unterstellter geringerer Geschwindigkeit des Anstiegs des Brutto-Stromverbrauchs bleibt ein hohes Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren zur Erreichung klimapolitischer Ziele notwendig." Der Bericht zur "Versorgungssicherheit Strom" kommt zum Ergebnis, "dass der zügige Ausbau von Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen wichtig ist, um die Klimaziele im Stromsektor zu erreichen" – und macht deutlich, dass Verzögerungen beim Erneuerbaren-Ausbau auch das Versorgungssicherheitsniveau negativ beeinflussen würden.
Die hohe Bedeutung eines weiteren dynamischen Ausbaus der Erneuerbaren für das Erreichen des 2030er-Klimaziels ergibt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass es in anderen Sektoren – vor allem in den Sektoren Verkehr und Gebäude – unter Berücksichtigung der aktuellen Tendenzen, aber auch der absehbaren politischen Maßnahmen in den kommenden Jahren, sehr wahrscheinlich weiterhin zu deutlich unterproportionalen Minderungsbeiträgen kommen wird (UBA 2025). Beim Ausbau der erneuerbaren Energien hingegen hat sich in den letzten Jahren eine sehr positive Dynamik entwickelt, unter anderem durch Vereinfachungen bei Genehmigungsprozessen, aber auch durch starke Kostenrückgänge, insbesondere bei der Photovoltaik.
Zudem sind auch die Ausgangsbedingungen für einen weiteren dynamischen Ausbau der Windenergie in den kommenden Jahren gut: Bei der Windenergie an Land haben die Anzahl und die Kapazität der genehmigten Anlagen zuletzt deutlich zugenommen (Fachagentur Wind und Solar 2025). Beim Neubau kann damit aus einem großen Pool geschöpft werden – denn die Genehmigungen von heute sind de facto die Anlagen von morgen.
Auch für die Klimaschutzperspektive nach 2030 ist ein Festhalten an den derzeitigen Ausbauzielen von hoher Bedeutung: Ein weiterer dynamischer Zubau von Wind- und Photovoltaikanlagen erhöht die Wahrscheinlichkeit, auf einen für Klimaneutralität bis 2045 notwendigen Entwicklungspfad des Energiesystems zu kommen – oder etwas drastischer ausgedrückt: Ein solcher Zubau könnte diesen Pfad erst möglich machen. Das hat verschiedene Gründe:
Industrielle Wettbewerbsfähigkeit
Ein weiterer dynamischer Zubau der erneuerbaren Energien führt, verglichen mit einem langsameren Ausbau, mittel- und langfristig zu einer Senkung der mittleren Börsenstrompreise und damit auch zu niedrigeren Strompreisen für Endverbraucher*innen, wenn auch gegebenenfalls zeitverzögert. Das gilt insbesondere für die energieintensive Industrie (Agora Energiewende 2025a). Niedrigere Strompreise erhöhen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Hintergrund ist, dass aufgrund des "Merit-Order"-Effekts immer seltener teure fossile Kraftwerke (derzeit Gas- und Kohlekraftwerke, perspektivisch nur noch Gaskraftwerke) preissetzend sind, je stärker die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Denn Windenergie- und Photovoltaikanlagen bieten in Deutschland schon heute die mit Abstand günstigsten Stromerzeugungskosten. Auch die Strompreise für Unternehmen, die Strom über den immer wichtigeren Markt der Power-Purchase-Agreements (PPA) direkt von Betreiber*innen bestimmter Erneuerbaren-Energien-Anlagen beziehen, dürften bei einem weiteren starken Ausbau von Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen zukünftig niedriger liegen als bei einem langsameren Ausbau.
Resilienz
Ein Festhalten an den derzeitigen Ausbauzielen für die erneuerbaren Energien mindert die Importabhängigkeit Deutschlands bei fossilen Energieträgern, wie Kohle und Erdgas. Zudem erhöht das Festhalten an den bestehenden Ausbauzielen die Investitionssicherheit für Anlagenhersteller, Installateure sowie Dienstleister. Das steigert die Attraktivität des Standorts Deutschland für Hersteller von Erneuerbaren-Energien-Anlagen und Speichern – und erhöht die Wahrscheinlichkeit, bei Schlüsseltechnologien die Abhängigkeit von Herstellern aus dem Ausland zu reduzieren, in diesen Bereichen einen relevanten inländischen Beitrag zu Wertschöpfung und Beschäftigung zu erzielen sowie Innovationsimpulse auszulösen.
Wie sich die Kosten der Energiesystemtransformation senken lassen
Im Folgenden werden Strategien und Maßnahmen aufgeführt, die aus Sicht des Wuppertal Instituts geeignet sind, um die Kosten der Transformation zu reduzieren – und zwar ohne schmerzhafte Kompromisse eingehen zu müssen bei Klimaschutz, industrieller Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz:
Maßnahmen zur Beschleunigung der Elektrifizierung in den Bereichen Verkehr, Gebäudewärme und Industrie (zum Beispiel Festhalten an den geltenden EU-Vorgaben für die Entwicklung der Fahrzeugflotten-Grenzwerte, verlässliche und sozial gestaffelte Förderung von Wärmepumpen, inklusive der 65-Prozent-Regel des Gebäudeenergiegesetzes, und Festhalten an der geplanten Einführung eines weiteren Emissionshandelssystems auf EU-Ebene für die Sektoren Verkehr und Gebäude im Jahr 2027) können aus den folgenden Gründen zur Senkung der Kosten des Energiesystems beitragen:
Eine Stärkung der Rolle marktlicher Signale zugunsten von Flexibilität kann Kosten senken, da so eine Verlagerung der Stromnachfrage hin zu Zeiten mit hoher Wind- und Solareinspeisung angereizt wird. Hierfür sollte die Politik die Geschwindigkeit des Smart-Meter-Rollouts beschleunigen und (weitere) Hindernisse für Flexibilität beseitigen – beispielsweise bei den Netzentgelten, die einer flexiblen Nutzung des erneuerbaren Stroms, etwa durch Power-to-Heat-Anlagen, Speicher, Elektroautos oder Wärmepumpen, entgegenstehen. Ein zukünftiger Kapazitätsmarkt sollte zudem so ausgestaltet werden, dass neben Kraftwerken auch andere Flexibilitätsoptionen auf der Angebots- und Nachfrageseite an diesem Markt partizipieren können, beispielsweise Speicher oder große Industrieunternehmen mit zeitlich flexibler Stromnachfrage. Auch die Ertüchtigung und Digitalisierung der Verteilnetze ist wichtig, um Speichertechnologien und Flexibilitäten besser einbinden zu können.
Die Bundespolitik sollte zudem – wie in der heutigen Stellungnahme des BMWE (2025) auch angekündigt – Differenzverträge (CfD) für die Unterstützung des weiteren Ausbaus von Windenergie- und Photovoltaikanlagen umsetzen (mit Ausnahme von Photovoltaik-Dachanlagen). Differenzverträge könnten dabei an geeignete Referenzanlagen gekoppelt werden, statt an die Stromerzeugung der individuellen Wind- oder Photovoltaik-Anlagen. Ein solches Instrument stärkt das Preissignal, die Konfiguration der Erneuerbaren-Anlagen und deren Betrieb am Marktwert auszurichten (Agora Energiewende 2025b).
Schließlich kann auch ein weiterer dynamischer Aus- und Umbau der Transportnetze und Grenzkuppelstellen (auf Grundlage regelmäßig überprüfter Bedarfe durch den etablierten Netzentwicklungsplan-Prozess) kostensenkend auf die Transformation des Energiesystems wirken, da ein leistungsfähiges nationales und europäisches Transportnetz zentral ist für eine kostengünstige Nutzung der zunehmenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Insbesondere kann durch einen solchen Aus- und Umbau die Notwendigkeit von Abregelung vermindert werden.
Fazit
Das Wuppertal Institut betrachtet die Verlangsamung des Ausbaus erneuerbarer Energien, insbesondere aus Gründen des Klimaschutzes, der industriellen Wettbewerbsfähigkeit sowie der Resilienz, eindeutig nicht als sinnvolle Strategie zur Minderung der Kosten der Transformation des Energiesystems. Die Bundesregierung hat deutlich bessere Möglichkeiten, um die Kosten der Transformation zu reduzieren, ohne beim Klimaschutz, bei der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und bei der Resilienz Kompromisse eingehen zu müssen: Dazu zählt nicht zuletzt die konsequente Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Elektrifizierung des Energieverbrauchs in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie – also der Rahmenbedingungen für den Ersatz fossiler Energieträger durch Strom –, aber auch für die effiziente Stromanwendung generell. Durch Verbesserungen dieser Rahmenbedingungen nimmt die Politik Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Stromnachfrage in Deutschland. Die Stromnachfrage ist folglich politisch gestaltbar – sie sollte von der Politik auf keinen Fall als unveränderliche Variable hingenommen werden. Mit Blick auf das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 erscheint eine proaktive Einflussnahme der Politik in Richtung einer stärkeren Elektrifizierung und Endenergieeffizienz unausweichlich, um Marktkräfte auszulösen, eine hinreichende Eigendynamik zu generieren – und nicht zuletzt, um milliardenschwere Kompensations- und Strafzahlungen aus dem ohnehin angespannten Bundeshaushalt zu vermeiden.
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Unter Mitarbeit von Dr. Stefan Thomas, Leiter der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik, Frank Merten, Co-Leiter des Forschungsbereichs Systeme und Infrastrukturen, Christine Krüger und Alexander Scholz, beide Senior Researcher im Forschungsbereich Systeme und Infrastrukturen, und Dietmar Schüwer, Senior Researcher im Forschungsbereich Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut.
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Literatur
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