Die kommunikativen Kettensägen, die am Fundament des EU-Emissionshandelssystems (ETS) ansetzen, drehen immer weiter auf. Diese wachsende politische Unsicherheit hat bereits handfeste Schäden für den Industriestandort zur Folge. Aus breiten Teilen der Industrie wird die Kritik immer lauter. So forderte Christian Kullmann, CEO des Chemiekonzerns Evonik am vergangenen Dienstag in den Tagesthemen eine Radikalreform des ETS und die Abschaffung dieser "CO2-Gebühr". Und die Kritik findet auch Widerhall in der Politik: Rhetorische Absetzbewegungen, etwa von Tilman Kuban (CDU) oder dem EVP-Vizepräsidenten François-Xavier Bellamy, der eine Aussetzung des Green Deals forderte, schaffen enorme Unsicherheit.
Diese Diskussion ist kein bloßes Hintergrundrauschen. Sie schadet dem Wirtschaftsstandort schon jetzt massiv. Die deutsche Industrie, insbesondere die Grundstoffindustrie, muss in den kommenden zwei Jahren zukunftsweisende Investitionsentscheidungen treffen. Doch wo politische Verlässlichkeit und klare Rahmenbedingungen notwendig wären, herrscht Vakuum. Die beiden Stahlkonzerne Thyssenkrupp und Salzgitter haben derzeit Anlagen zur klimaneutralen Stahlerzeugung im Bau und sind damit global führend. Beide Konzerne wollten im kommenden Jahr über die weiteren Schritte der Transformation in ihren Unternehmen entscheiden und haben diese zukunftsweisende Entscheidung nun vertagt. Der Grund ist die enorme Unsicherheit und insbesondere auch die Unsicherheit über die politischen Rahmenbedingungen. Investitionen in klimaneutrale Produktionsverfahren lohnen sich nicht, wenn konventionelle Wettbewerber durch eine Aufweichung des ETS länger kostenfreie oder kostengünstigere Zertifikate erhalten.
Allein die Debatte um eine Aufweichung des ETS führt damit unmittelbar zu einer Verzögerung kritischer Transformationsinvestitionen. Jede Verzögerung jedoch bedeutet, dass kurzfristig mehr Zertifikate verbraucht werden und der notwendige Transformationspfad zur Mitte des Jahrhunderts steiler wird. Mit steigenden CO2-Preisen bei gleichzeitig kürzer werdenden Fristen steigt auch der politische Druck exponentiell. Der schon jetzt schwere und steinige Weg wird zur unüberwindbaren Klippe.
Am Ende dieses Pfades steht erwartbar das Ende des ETS als glaubwürdiges Instrument. Und in dem Moment, in dem die Marktakteure ihren Glauben an das politische Durchhaltevermögen verlieren, werden sie auch ihre eigenen Investitionspläne infrage stellen. Die Kritik am EU ETS wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Das wäre verheerend – nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für die europäische Wirtschaft.
Denn das ETS hat sich historisch als extrem effektives und kostengünstiges Instrument erwiesen. Empirische Studien zeigen, dass sich die ökonomischen Kollateralschäden wie das sogenannte Carbon Leakage bisher weitgehend in Grenzen halten. Zudem ist das System volkswirtschaftlich klug: Es minimiert die Kosten der Transformation und generiert Einnahmen, die überwiegend dazu dienen, ergänzende Politikinstrumente und Subventionen zu finanzieren. Woher sollen die staatlichen Mittel zur Unterstützung der Energie- und Industrietransformation kommen, wenn nicht aus diesen Einnahmen? Denkbare Alternativen sind nicht nur weniger wirksam, sie sind auch nicht bezahlbar.
Zweifellos steckt die deutsche Industrie, insbesondere die Chemie- und Stahlbranche, in einer schwieriger Lage, die durch internationale Konkurrenz und die Schwäche wichtiger Abnehmer wie der Automobilindustrie verschärft wird. Unternehmen benötigen kurzfristige Unterstützung, um die Transformation aus ihren konventionellen Gewinnen zu finanzieren.
Die entscheidende Frage ist aber: Für welchen Wettbewerb rüsten wir uns? Eine Schwächung des ETS mag kurzfristig die Position im fossilen Wettbewerb stärken. Doch gegen das kostengünstige Erdgas in den USA und eine Regierung, die rücksichtslos die Rückzugsgefechte der fossilen Industrie führt, wird sich die europäische Industrie nicht bewähren können. Dieses Rennen hat nicht nur das falsche Ziel, es ist auch jetzt schon aussichtslos.
Gleichzeitig versucht China, mit aller Macht und sehr erfolgreich die Supermacht in einer vollständig elektrifizierten Industrie der Zukunft zu werden. Wenn wir uns durch die Abschwächung des EU-ETS einen kleinen, temporären Vorteil im Wettbewerb der Vergangenheit sichern, stellen wir uns im Rennen um die Zukunft gleichzeitig ein Bein. Wir laufen dann Gefahr, nicht nur bei Solaranlagen, Batterien und E-Fahrzeugen den Anschluss zu verlieren, sondern überlassen China widerstandslos auch die Führerschaft bei Elektrolyseuren, grünen Grundstoffen wie Stahl und Zement, dem Anlagenbau für grüne Industrieprozesse und anderen Umwelttechnologien.
Die Politik muss jetzt ein klares Bekenntnis abgeben: Das EU-ETS ist nicht nur ein Klimainstrument, sondern ein zentrales Steuerungsinstrument für die Zukunftsfähigkeit unseres Industriestandorts. Wer es schwächt, sabotiert die deutsche Wirtschaft.
Dieses Statement ist am 30. Oktober 2025 bei Tagesspiegel Background erschienen.
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