Ein klimapolitischer Rück- und Ausblick

Kurzeinschätzung von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick

  • Statements 10.01.2022

Das Jahr 2021 war zweifelsohne ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz. Unabhängig von der weltweit alles bestimmenden Frage nach der Überwindung der Corona-Pandemie blieb Klimaschutz oben auf der Agenda. Dies gilt für die Fortsetzung der Demonstrationen von Fridays for Future und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen für einen verstärkten Klimaschutz genauso wie für die politische Auseinandersetzung über den besten Weg, die für den Klimawandel verantwortlichen Treibhausgasemissionen zu reduzieren und perspektivisch treibhausgasneutral zu werden.

Aber der Reihe nach einige Highlights des Jahres: Ende April 2021 hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für Aufsehen gesorgt. Das Gericht hat die Bundesregierung in die Pflicht genommen, sich stärker für die Belange der jüngeren Generationen einzusetzen und die Treibhausgas-Emissionen deutlich schneller als bisher über das Klimaschutzgesetz, das zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 17 Monate alt war, festgelegt worden ist zu reduzieren. Wie üblich hat das Gericht der Regierung eine Frist für die Umsetzung der Vorgaben gemacht und dafür Zeit bis Ende 2022 gegeben. Umso erstaunlicher war es, dass die Bundesregierung bereits wenige Wochen nach der Urteilsverkündung deutlich gemacht hat, dass sie das Klimaschutzgesetz kurzfristig nachbessern will und die Novellierung tatsächlich bereits im August 2021 auch formal umgesetzt. Ein in dieser Geschwindigkeit nahezu einmaliger Vorgang und sicher insbesondere auf die nahen Bundestagswahlen im September des Jahres zurückzuführen. Inhaltlich ist beschlossen worden Treibhausgasneutralität bereits 2045 (statt 2050) erreichen zu wollen und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent (statt 55 Prozent) senken zu wollen.

Mitte Juli des vergangenen Jahres wurde uns drastisch vor Augen geführt, was Klimawandel bedeutet und mit welchen verheerenden Folgen dieser verbunden sein kann. Im Ahrtal ist nach mehrtägigen Starkregenfällen das beschauliche Flüsschen Ahr über die Ufer getreten und hat Autos, Brücken und ganze Häuser mit sich gerissen. Ein Szenario, das sich bis dato niemand hätte vorstellen können. Die Extremwettereignisse haben im Ahrtal und anderen Regionen Deutschlands mehr als 100 Menschen das Leben gekostet und Schäden in der Größenordnung von rund 30 Milliarden Euro angerichtet. Man kann dies als Weckruf der Natur bezeichnen, der uns deutlich machen sollte nicht weiter zu hinterfragen, wie wir Klimaschutz bezahlen können. Vielmehr sollten wir uns fragen, wie wir die Schäden begleichen können, wenn wir jetzt nicht in Klimaschutz investieren. Zudem macht der Weckruf auch klar, dass Klimaschutz und Klimaanpassung zusammengedacht werden müssen und schon heute mehr zum Schutz der Bevölkerung notwendig ist – inklusiver effektiver Vorwarnsysteme.

Mit der Vorlage des ersten Teils des neuen Sachstandsberichtes des Weltklimarates – also dem Bericht der Arbeitsgruppe I zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen – hat die Community der Klimawissenschaftler*innen im August 2021 verdeutlicht, mit welcher Verschärfung der Wetterextreme wir zu rechnen haben, wenn es nicht gelingt die Treibhausgas-Emissionen global drastisch zu reduzieren und die Erhöhung der Weltmitteltemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveaus auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Schon heute treten Extremtemperaturen, die zuvor nur alle 50 Jahre vorkamen, fünfmal wahrscheinlicher auf. Erreichen wir die 1,5-Grad-Schwelle wird dies etwa 8,5 Mal so häufig der Fall sein.

Im September war Klimaschutz eines der herausragenden Themen bei der Bundestageswahl. Interessant zu beobachten war dabei, dass mit Ausnahme der AfD die Parteien weniger über das "ob" und auch weniger über das mittelfristige Ziel Treibhausgasneutralität 2045 gestritten haben. Sie debattierten in erster Linie über das "wie", also über den Instrumentenkasten. Wie viel des Weges kann allein über eine CO2-Preissteuerung erreicht werden und wo muss Ordnungsrecht helfen? Wie stark müssen Technologiepfade vorgegeben werden – und zwar sowohl in Bezug auf Technologien, die man nicht mehr einsetzen will als auch solche, die man in die Märkte bringen will und wo braucht es Technologieoffenheit?

Im Oktober und November 2021 hat sich die Staatengemeinschaft, also rund 200 Länder, in Glasgow zur Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention getroffen und dies bereits zum 26. Mal. Die Erwartungshaltung an die Verhandlungen war angesichts des sich immer stärker spürbaren Klimawandels groß. Gleichzeitig war allen bewusst, dass von einem globalen Klimaschutzsteuerungssystem (global climate governance), das auf dem Konsensprinzip beruht, keine Wunder erwartet werden können. Angesichts dessen war die Konferenz vielleicht erfolgreicher als gedacht: Denn einerseits konnte nach sechs Verhandlungsjahren endlich das Regelbuch des Pariser Abkommens verabschiedet werden, anderseits hat eine geschickte Orchestrierung der britischen Konferenzleitung für eine produktive Dynamik gesorgt. Mit dem Abschlussdokument, dem Glasgow Action Plan, setzt die Staatengemeinschaft trotz der zum Teil sehr abgeschwächten Formulierungen – etwa beim Ausstieg aus der Kohleverstromung – ein wichtiges Zeichen für den Willen, das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu wollen. Noch wichtiger sind aber die zahlreichen bi- und multilateralen Initiativen und sektoralen Vereinbarungen, die Mut machen. Dies umfasst Abkommen von zahlreichen Staaten zur Verringerung der Methan-Emissionen, zum zukünftigen Verzicht auf Investitionen in Öl-, Gas- und Kohleinfrastrukturen und zum absehbaren Ende des Verbrennungsmotors. Diese Dynamik gilt es jetzt national wie international aufzugreifen, denn es bleibt noch viel zu tun, um den fortschreitenden Klimawandel zu begrenzen.

Nur kurze Zeit später wurde Ende November der Koalitionsvertrag der drei zukünftigen Regierungsparteien SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP vorgelegt. Mehr als 40 Seiten des Vertrags beschäftigen sich mit Klimaschutz- und Energiefragen, was die zentrale Bedeutung des Themas für die jetzt kommende Legislaturperiode ebenso zeigt wie die Zusammenlegung der Verantwortung für Wirtschaft und Klimaschutz in einem Ministerium.
Beherrschte in den letzten Jahren die Diskussion über die richtigen Klimaschutzziele das politische Handeln, ist der Geist des Koalitionsvertrags geprägt von einem klaren aber auch dringend notwendigen Umsetzungswillen. Dies betrifft alle relevanten Sektoren gleichermaßen, wenn auch den Bereich Verkehr deutlich am schwächsten.
Bemerkenswert ist auch das positive Narrativ des Vertrages: Klimaschutz wird an vielen Stellen als Gestaltungschance verstanden und als Möglichkeit zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland. Maßnahmen zum Schutz des Klimas werden nicht als Gegensatz zu industrieller Entwicklung gesehen, sondern zusammengedacht mit einem Deutschland als einem zukunftsfähigen, innovativen und attraktiven Industriestandort, das durch eine Technologieführerschaft in den wachsenden globalen Klimaschutz-Technologiemärkten profitieren kann. Damit folgt der Koalitionsvertrag dem "European Green Deal"-Ansatz der Europäischen Union und formuliert Klimaschutz als Querschnittsaufgabe und integraler Bestandteil aller Politikfelder.

Ohnehin sind es längst nicht mehr nur die Zivilgesellschaft und die Kommunen, die für mehr und schnelleren Klimaschutz eintreten, sondern mehr und mehr auch die Industrie, die sich durch eine konsequente Klimaschutzpolitik dauerhaft Vorteile im Wettbewerb verspricht und heute Treiber des Transformationsprozesses ist.

Klimapolitischer Ausblick für 2022

Was bringt das Jahr 2022 für den Klimaschutz? Kurzum: Es ist noch eine Menge zu tun, wie die wenigen Beispiel zeigen. Deutschland übernimmt im Januar 2022 die G7-Präsidentschaft und wird versuchen diese zu nutzen, um das Klimaschutztempo auf globaler Ebene anzuziehen. Ein Instrument dafür könnten und sollten die im Koalitionsvertrag genannten Klimaclubs sein. Sie sollen die Basis dafür schaffen, dass sich Vorreiterländer für den Klimaschutz vernetzen und unter einheitlichen Bedingungen schneller als der Rest der Welt vorangehen. Auf europäischer Ebene geht es um die Umsetzung des "Fit for 55"-Programms, dem klimapolitischen Kern des European Green Deals. Hier steht die Überarbeitung und teilweise Neufassung von zahlreichen europäischen Richtlinien auf der Tagesordnung. Die Verabschiedung der EU-Taxonomie soll schließlich einen Orientierungsrahmen dafür schaffen, was nachhaltige Investitionen und Geschäftsfelder sind und wird damit Signalwirkung für Kreditvergabe und Anlageverhalten haben.

Für die neue Bundesregierung geht es jetzt vor allem um die Umsetzung. Was zu tun ist, ist im Laufe des Jahres 2021 in vier großen Transformationsstudien beschrieben worden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auftraggeber für die Studien, sind sie sich in dem Handlungsrahmen und den robusten Strategieelementen sowie notwendigen Ausbaudynamiken (von zum Beispiel erneuerbaren Energien und Wasserstoff) sehr einig. Ausreden für die Politik gibt es daher jetzt nicht mehr. Es zählt jetzt das Handeln. Daran wird sich die neue Bundesregierung messen lassen müssen.


Cookie-Einstellungen

Cookies helfen uns, die Website für Sie ständig zu verbessern. Mit dem Klick auf den Button "Zustimmen" erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden. Für weitere Informationen über die Nutzung von Cookies oder für die Änderung Ihrer Einstellungen klicken Sie bitte auf Mehr über die Verwendung und Ablehnung von Cookies.