Investitions- und Innovationsoffensive

Die kluge Antwort auf Energieversorgungskrise und Wettbewerb um Zukunftsmärkte – ein Statement von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick

  • Statements 02.12.2022

Die Energiepreis- und Energieversorgungskrise stellt Deutschland aktuell vor große Herausforderungen. Die politische und gesellschaftliche Debatte wird daher sehr stark davon bestimmt, die privaten Konsument*innen aber auch die Unternehmen vor einer zu hohen Kostenbelastung zu schützen. Entsprechend setzen die Gaspreis- und Strompreisbremse hier an, was zweifellos kurzfristig eine richtige und notwendige Strategie ist. Mit beiden Instrumenten werden aber die eigentlichen Herausforderungen nicht adressiert und die Ursachen der aktuellen Krise – nämlich die starke Abhängigkeit von Energieimporten und insbesondere der hohe Bedarf an fossilen Energieträgern – nicht behoben. Für private Verbraucher*innen und die Wirtschaft ist es daher entscheidend, die kurzfristigen Maßnahmen mit der mittel- bis langfristig unumgänglichen konsequenten Umsetzung eines umfassenden Transformationsprozesses hin zu einer klimaverträglichen, ressourcenleichten und resilienten Gesellschaft zu flankieren. Hierfür muss die Politik heute die richtigen Weichen stellen, eine Ermöglichungskultur schaffen und die Unternehmen trotz hoher Unsicherheiten den Mut aufbringen diese aktiv aufzugreifen.

Die konsequente Umsetzung von Energiewende und Industriesystem-Transformation – inklusive des Übergangs auf eine Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) – ist die einzige Chance. Nur so kann die deutsche Industrie mittel- bis langfristig gegenüber Standorten wettbewerbsfähig bleiben, die über bessere Ausgangsbedingungen verfügen, wie insbesondere hohe, kostengünstige Potenziale erneuerbarer Energien. Dafür muss die Politik jetzt die Rahmenbedingungen setzen, also den Unternehmen nicht nur (aber auch) über die kurzfristige Krisensituation helfen, sondern auch strukturell den Wandel ermöglichen. Dies erfordert unter anderem die Unterstützung bei Entwicklung und Umsetzung neuer innovativer Produktionsverfahren, die Sicherstellung einer ausreichenden und auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung, eine robuste Balance aus heimischer Erzeugung und Import aus Ländern mit einem hohen Vertrauenspotenzial. Als Begriffspaar wird dafür heute Reshoring – die regionale Versorgung, wozu auch das Schließen von Kreisläufen zu zählen ist – und Friend-Shoring, also die Kooperation mit vertrauensvollen Partnern, verwendet. Hinzu kommt die bewusste Verlagerung von Produktionsprozessen, das sogenannte Offshoring.

Politik spielt für den Wandel eine große Rolle. Sie setzt die Impulse, eine dauerhafte Subvention des Übergangs ist aber nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Insofern kommt es darauf an möglichst früh, sich selbst tragende grüne Produktmärkte zu initiieren und abzusichern. Neben freiwilligen Nischenmärkten kann dies durch das Setzen von Standards, etwa mithilfe von Produktstandards über die Öko-Design Richtlinie der EU oder Quoten beziehungsweise Vorgaben und Regeln im Rahmen der öffentlichen Beschaffung erfolgen. Ein starkes Signal in diese Richtung hat die US-Administration im Kontext der internationalen Klimakonferenz im ägyptischen Sharm El Sheikh Anfang November 2022 gesetzt. Sie hat angekündigt von allen Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen an den amerikanischen Staat liefern wollen, zu verlangen, dass diese einen Minderungspfad für ihre Treibhausgasemissionen vorlegen, der kompatibel ist mit der Erreichung der Pariser Klimaschutzziele aus dem Jahr 2015 (1,5-Grad-Klimaschutzpfad). Mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von mehr als 600 Milliarden US-Dollar entsteht hierdurch ein kraftvoller Klimaschutzimpuls.

Neben der Politik sind aber auch die Unternehmen gefordert: Sie müssen die jetzige Krisensituation nutzen, um sich resilienter und zukunftsfester aufzustellen und dafür ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio anpassen, neue Partnerschaften aufbauen und Lieferketten robuster gestalten. Dazu gehört auch höhere Anteile regionaler Produktion bzw. geschlossener Wertschöpfungsketten zu schaffen.

Deutschland und Europa sind aktuell aber noch mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert: Die USA wurden über viele Jahre als Zauderer und Zögerer in Sachen Klimaschutzpolitik eingeordnet, nun machen sie mit einem großen Investitionsprogramm ernst. Mit dem "Inflation Reduction Act" – einem Programm in Höhe von mehr als 460 Milliarden US-Dollar, das Zuschüsse und Steuererleichterungen miteinander verbindet – macht die USA einen großen Transformationsschritt und löst große Anziehungskräfte auf Produzenten von zukunftsfähigen Klimaschutzprodukten wie etwa Elektrolyseure, Windkraftwerke aus. Wegen der sogenannten "local content"-Forderung gilt dies auch für nicht-amerikanische Herstellende von Anlagen, sofern sie von der Förderung profitieren wollen und müssen dann ihre Produktion in die USA verlegen.

Hierauf müssen Deutschland und Europa eine adäquate Antwort finden – und zwar schnell: einerseits durch transatlantische Verhandlungen, mit dem Ziel Steuererleichterungen möglichst auch für deutsche und europäische Produkte gewährt zu bekommen, sowie anderseits durch die Auflage eines eigenen mutigen Zukunftsinvestitionsprogramms. Was es jetzt aus mehrfacher Hinsicht braucht, ist eine "transformative strategische Industriepolitik", also

  • eine missionsorientierte, auf Klimaschutz und Versorgungssicherheit sowie Resilienz ausgerichtete Politik, die auf Investitionen in Industriestandorte in Deutschland (und Europa) setzt und damit Innovationskräfte auslöst
  • eine Politik, die Unternehmen den Wandel, die Transformation ermöglicht, zugleich von diesen aber auch einfordert, sich klar zum Standort Deutschland zu bekennen
  • eine Politik, die mutig aufklärt und transparent macht, warum gerade jetzt, also in einer ohnehin angespannten finanziellen Situation, ein auf Nachhaltigkeitstransformation ausgerichtetes Investitionsprogramm in etwa in der gleichen Größenordnung wie das von Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 angekündigte Programm zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands Zukunft sichert
  • eine Politik, die jetzt schnell reagiert, sich nicht in einer langatmigen Diskussion über den optimalsten Weg verliert, sondern jetzt Verantwortung übernimmt sowie sich jetzt klar für Impulse in den Produktionsstandort entscheidet und auf zukunftsfeste Produkte setzt

Mit einer derartigen Politik kann Deutschland gestärkt aus der Krise herauskommen, die aktuelle Energiepreis- und Energieversorgungskrise kann zum Booster für den ohnehin notwendigen Wandel werden und die zentralen Weichen für eine klimaverträgliche, ressourcenleichte und resiliente Gesellschaft stellen.


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